Mit leerer Bluse spricht man nicht by Katinka Buddenkotte

Mit leerer Bluse spricht man nicht by Katinka Buddenkotte

Autor:Katinka Buddenkotte [Buddenkotte, Katinka]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: Dtv
veröffentlicht: 2011-11-20T23:00:00+00:00


This is not America

Eines Tages beschloss meine Mutter, sich auf furchtbare Weise an der westlichen Welt zu rächen. Sie holte zu einem Rundumschlag aus und ließ mit ihrer einmaligen Aktion all jene verzweifeln, die jahrzehntelang an die Segnungen der Reisefreiheit und des sogenannten kulturellen Austausches geglaubt hatten. Gleichzeitig erteilte sie meinem Vater, dessen größte Schwäche von jeher die Gastfreundschaft war, eine Lektion. Denn nach Natterascha, der zwölften Austauschschülerin, die in unserem Heim ihre Persönlichkeitsstörung hatte voll ausleben dürfen, riss meiner Mutter der Geduldsfaden. Sie sandte ihre Geheimwaffe aus, dorthin, wo sie den Feind an seiner empfindlichsten Stelle treffen sollte. Sie schickte mich in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Natürlich traf mich ihre Entscheidung nicht unvorbereitet. Tage zuvor hatte ich quengelnd auf der Couch gesessen und behauptet, dass alle anderen immer alles dürften, auch nach Amerika fahren. Bis heute weiß ich nicht, was ich mit dieser Nörgelorgie eigentlich bezweckte. Ich kann mich nur noch entsinnen, dass meine Mutter plötzlich ein schwarzes Notizbüchlein hervorkramte, es aufschlug und meinem Vater wortlos überreichte. Der wählte eine vierzehnstellige Nummer und schnatterte gut gelaunt in den Hörer: »Wendy-Lou, it’s Werner. Sorry, I didn’t call you for thirty years, but would you know anyone who would like to have my daughter?«

Von diesem ersten Gespräch an bis zu dem zweiten und letzten vor meinem Abflug war nie die Rede davon, »how long« irgendeine amerikanische Familie aus dem Bekanntenkreis der Ex-Verlobten meines Vaters mich gern haben wollte. Wahrscheinlich gehörte auch dieser raffinierte Schachzug zum Masterplan meiner Eltern: Je weniger ich von meinem Angriffsziel wusste, desto weniger Gedanken würde ich mir um die zivilen Opfer dort machen. Mein offizieller Auftrag lautete: Im Staat Connecticut von Bord gehen, mich in eine Kleinfamilie einschleusen, die Schule besuchen, allerhand großartige Freundschaften schließen, um dann putzmunter mit vielerlei Eindrücken zurückzukehren. Solcherlei Phrasen schrieben meine Eltern zumindest in dem Brief an meine zukünftigen Eltern, dem sie außerdem noch ein nicht zu aktuelles Foto von mir beifügten. Man wollte die Amis nicht warnen, indem man ihnen gleich das Bild einer unsicheren Sechzehnjährigen präsentierte, deren Hobbys augenscheinlich Pickelausdrücken und Haarefärben waren. Sie erwähnten in ihrem Schreiben auch nicht meine Vorliebe dafür, stundenlang zerknirscht vor mich hin zu grübeln, neuwertige Jeans zu Kunstobjekten zu zerschreddern oder Fahrradunfälle zu sammeln. Meine wahre Leidenschaft, die Zubereitung von möglichst wirkungsvollen Cocktails auf Wodkabasis, wurde zu der äußerst neckischen Formulierung »Katinka enjoys experimental cooking« eingedampft.

Um meine Furcht vor der Fremde zu mildern, erteilte mir mein Vater eine Blitzlektion über den speziellen Flecken Erde, den er selbst in den frühen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts heimgesucht hatte. Auf einem vergilbten Stadtplan zeigte er mir die Sehenswürdigkeiten von East Windsor, Connecticut.

»Hier ist der Eisladen von Mr. Garner. Und da gibt es die besten Hot Dogs. Da trainiert das Footballteam, und hier müsste die Parade der Blumenkönigin entlangfahren, ungefähr im September, siehst du, einmal um die Episkopal-Kirche, dann vorbei am Schwarzenviertel …«

Seine Erläuterungen beruhigten mich ein wenig. Falls ich es in der amerikanischen Provinz nicht würde aushalten können, müsste ich einfach einen verrückten Professor finden und diesem



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