Mit Clara sind wir sechs by Härtling Peter

Mit Clara sind wir sechs by Härtling Peter

Autor:Härtling, Peter [Härtling, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Diese Frage hat Mutter nicht erwartet. Verblüfft sieht sie Therese an, schüttelt kaum merklich den Kopf. »Wie kommst du darauf?« fragt sie und gibt sich selber die Antwort: »Ach, du hast vorhin gelauscht, du neugierige Trine.«

Verlegen zieht Therese die Decke bis zum Kinn. »Das wollte ich nicht, das passierte einfach so. Du hast laut gesprochen. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen.«

Mutter legt ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Es reicht, es reicht. Ihr hättet es sowieso von mir erfahren, in den nächsten Tagen.«

»Ist das schlimm?« fragt Therese.

Mutter nickt und atmet tief durch. »Ja. Ich habe mir irgendwo diese Krankheit geholt. Sie wird durch Hackfleisch übertragen, auch durch Katzen.«

»Siehst du, die Kitty!« In Philipp steigt eine unglaubliche Wut hoch, aber Mutter dämpft sie gleich.

»Nein, Kitty hat keine Schuld. Die Katze besucht uns doch erst seit ein paar Tagen. Im übrigen ist es sinnlos, Schuldige zu suchen.«

»Und die Krankheit, die heißt Titer?«

Jetzt schafft Mutter es sogar zu lächeln. »Nein, Therese. Wißt ihr was, legt euch hin, und ich erklär euch, was mit mir und dem Baby los ist. Die Krankheit, die ich habe, heißt Toxoplasmose. Der Titer ist ein Blutwert, der anzeigt, wie stark ich von der Krankheit befallen bin.« Sie spricht sehr ruhig.

Therese denkt: Als ob sie das auswendig gelernt hat beim Doktor.

»Heute nachmittag hat mir Doktor Heimel, das ist der Arzt, der diese Reihenuntersuchung leitet, all das mitgeteilt. Vorher habe ich noch nie von dieser Krankheit gehört. Wenn Erwachsene sie bekommen, ist das meistens nicht weiter schlimm. Häufig merken sie’s nur wie eine leichte Grippe. Wenn du aber schwanger bist, ein Kind erwartest, dann ist die Toxoplasmose eine große Gefahr.«

Sie reibt sich die Backen. Die Kinder spüren, wie schwer es ihr fällt, weiterzusprechen. »Das kranke Blut gerät sofort in den Kreislauf des Embryos — so nennt man die Babys, solange sie im Bauch sind. Aber das wißt ihr ja. Das giftige Blut kann Schäden anrichten, die nicht zu verhindern und die auch nicht zu heilen sind.«

Therese guckt auf den kugelrunden Bauch und versucht sich vorzustellen, wie das Baby dort drin krank ist.

Mutter steht auf, geht im Zimmer auf und ab. Sie spricht wieder mehr zu sich: »Ja, es ist doch gut, daß ich es euch jetzt erzähle. Hier, ihr beide im Bett und ich allein.«

»Wir sind doch da«, fällt ihr Philipp ins Wort. Ihm ist es nicht geheuer, wenn Mutter so traurig redet.

»Ja, ihr seid da.«

»Was kann mit dem Baby geschehen?« fragt Philipp.

»Was?« Mutters Stimme wird rauh. »Was? Es kann verkrüppelt zur Welt kommen. Es kann geistig behindert sein. Oder blind. Oder taub. Ach...« Weiter kommt sie nicht. Sie lehnt sich an die Tür, mit dem Rücken zu ihnen, und schluchzt auf.

Wieder stößt Philipp Therese sachte an. Sie weiß, wozu er sie auffordert. Sie schlüpft aus dem Bett, läuft zu Mutter, umarmt sie, was ihr nur unvollkommen gelingt, denn der Bauch ist dick. »Mama, nicht weinen.«

»Doch«, sagt Mutter. Ihr Rücken bebt, und sie weint weiter. So lange, bis sie schnieft, nach Therese faßt, ihr den Kopf streichelt, sich mit



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