Meine geniale Freundin by Ferrante Elena

Meine geniale Freundin by Ferrante Elena

Autor:Ferrante, Elena
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-01-28T05:00:00+00:00


23

In dieser Nacht ist mir, wie gesagt, viel entgangen. Überwältigt von der Partystimmung, von der brenzligen Situation und vom Herumwirbeln der Jungen, von deren Körpern eine größere Hitze ausging als vom Feuerwerk am Himmel, hatte ich aber vor allem Lila vernachlässigt. Dabei vollzog sich gerade damals ihre erste innerliche Veränderung.

Was sie da erlebt hatte, ich sagte es schon, hatte ich nicht mitbekommen, dieser Vorgang war kaum erkennbar gewesen. Doch seine Auswirkungen bemerkte ich beinahe sofort. Sie wurde fauler. Obwohl ich keine Schule hatte, stand ich schon zwei Tage später frühmorgens auf, um mit ihr zusammen die Schusterwerkstatt zu öffnen und ihr beim Putzen zu helfen, aber von Lila keine Spur. Sie kam spät, war mürrisch, und wir spazierten durch den Rione, wobei wir einen großen Bogen um die Schusterei machten.

»Gehst du nicht zur Arbeit?«

»Nein.«

»Und warum nicht?«

»Ich habe keine Lust mehr.«

»Und was ist mit den neuen Schuhen?«

»Die sind noch Zukunftsmusik.«

»Und was jetzt?«

Nicht einmal sie schien zu wissen, was sie wollte. Sie schien nur sehr besorgt über ihren Bruder zu sein, viel mehr als noch kurz zuvor. Und unmittelbar ausgehend von dieser Besorgnis begann sie nun anders über Reichtum zu reden. Wir zwei hatten noch immer den dringlichen Wunsch, reich zu werden, das stand außer Frage, doch das Ziel war nicht mehr dasselbe wie in unserer Kindheit: keine Schatztruhen mehr, keine funkelnden Münzen und Edelsteine mehr. Nun war Geld in ihrem Kopf anscheinend zu einer Art Zement geworden: Es verstärkte, stützte, festigte dieses und jenes. Es verfestigte sich vor allem in Rinos Kopf. Das Paar Schuhe, das sie zusammen hergestellt hatten, hielt er bereits für vollendet, er wollte es Fernando zeigen. Doch Lila wusste nur zu gut (und ihr zufolge wusste es auch Rino), dass ihr Werk noch Fehler aufwies, dass ihr Vater die Schuhe prüfen und sie wegwerfen würde. Daher sagte sie zu Rino, sie seien noch lange nicht fertig, der Weg zur eigenen Schuhfabrik sei steinig. Aber er wollte nicht mehr warten, wollte schnellstens so werden wie die Solara-Brüder, wie Stefano, und Lila konnte ihn nicht zur Vernunft bringen. Plötzlich schien Reichtum an sich sie gar nicht mehr zu interessieren. Über Geld redete sie nun ohne jede Schwärmerei, es war lediglich ein Mittel, um zu verhindern, dass ihr Bruder sich in Schwierigkeiten brachte. »Alles meine Schuld«, räumte sie zumindest mir gegenüber ein. »Ich habe ihn glauben lassen, das Geld liegt auf der Straße.« Aber da es dort nicht lag, fragte sie sich mit finsterem Blick, was sie sich ausdenken müsse, um ihn ruhigzustellen.

Rino war tatsächlich außer sich. Fernando warf Lila, zum Beispiel, nie vor, dass sie nicht mehr in die Werkstatt kam, im Gegenteil, er zeigte sich ihr gegenüber froh darüber, dass sie zu Hause blieb und ihrer Mutter half. Doch ihr Bruder war stinkwütend, und schon in den ersten Januartagen wurde ich Zeugin eines weiteren bösen Streits. Rino kam uns mit gesenktem Kopf entgegen, versperrte uns den Weg und sagte zu Lila: »Komm sofort wieder arbeiten.« Lila antwortete, sie denke nicht mal im Traum daran. Da zerrte er an



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