Mein Leben nach dem Tod by Mark Benecke

Mein Leben nach dem Tod by Mark Benecke

Autor:Mark Benecke [Benecke, Mark]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-8095-8
Herausgeber: Lübbe
veröffentlicht: 2019-08-14T16:00:00+00:00


OCME, plastinierte Leichen und Theater:

Wie ich verschiedene Welten für mich entdeckte

Um den chronologischen Faden noch einmal aufzugreifen: New York war in jeder Hinsicht ein anderes Kaliber als Köln. Das galt zuallererst für die Mieten. Dabei hatte ich sogar noch Glück – dachte ich zumindest. Denn ein paar Tage vor meinem endgültigen Abflug traf ich die Schwester eines früheren Mitschülers am Kölner Heumarkt.

»Hey, was treibst du so?«, fragte sie mich, und ich erzählte ihr von meinen Plänen.

»Brauchst du dann nicht eine Wohnung, wenn du länger da drüben bleibst?«, fragte sie weiter.

»Klar«, antwortete ich, und mir fiel auf, dass ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Ich wusste nur, dass es notfalls ein protestantisches Seemannswohnheim und den YMCA gab.

»Ein Kumpel von mir vermietet Wohnungen in Manhattan. Ich geb’ dir mal seine Adresse, vielleicht hat der was frei.«

Was für ein verdammter Zufall, dachte ich – und schrieb ihm am selben Nachmittag eine E-Mail. Ich berichtete ihm von seiner alten Freundin aus good old Germany, und obwohl er sich überhaupt nicht an sie erinnern konnte, bot er mir ein Zimmer an, das ich kurz nach meiner Ankunft – die Zwischenstation im YMCA blieb mir nicht erspart – beziehen sollte. Ich regelte noch ein paar Angelegenheiten, und wenig später ging es los: Mit einem hellbraunen Kunstlederkoffer ohne Rollen und einem äußerst hässlichen Trolley, den ich mir in einem Import-Export-Laden um die Ecke gekauft hatte, startete ich in Richtung neue Welt. Zunächst übernachtete ich ein paar Tage im legendären »Christlichen Verein junger Männer«, in dem es sogar ein großes Schwimmbad gab, weil für junge christliche Männer Leibesertüchtigung wichtig war. Aber danach bezog ich meine erste amerikanische Wohnung, zum Preis von schlappen 1600 Dollar Vorkasse für den ersten Monat. Der angeblich so nette Bekannte meiner Bekannten entpuppte sich als schlitzohriger Halsabschneider. Und damit war ich pleite.

Das Haus, in dem sich die Bruchbude befand, lag direkt auf St. Marks Place, einer Straße im East Village. Dort lebten und geisterten eigenartige Typen herum. Das Viertel noch lange nicht cool und vor allem nicht reich war. Ende des 19. Jahrhunderts wohnten dort viele Deutsche, später dann vorwiegend Juden und Osteuropäer, und heute ist die Ecke eine – wenn auch immer noch stark heruntergekommene – Ausgeh- oder Wohn-Zone für jüngere Leute, denen eine Prise wilden Lebens Spaß macht. Normale Touristen und Touristinnen verirren sich bis heute nicht nach St. Mark’s Place. Nach wie vor sind fast alle Häuserblocks dort aus Backstein und selten höher als drei oder vier Stockwerke. Statt großer Supermärkte und Fast-Food-Ketten gab es dort in den Untergeschossen Pubs und kleinere Läden, in denen man Comics, schräge Klamotten oder Snacks kaufen konnte. Auch New Yorks erstes legales Tattoo-Studio gegenüber dem Yaffa Cafe fand man dort, und – sehr praktisch – gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite lag Andromeda Piercing. Außerdem glänzte abends und nachts alles wie verrückt, mit Neonfischen, verschrotteten Geldautomaten und dicken Silberringen in den Schaufenstern. Ich fühlte mich vom ersten Moment an wohl. Da störte es mich auch nicht, dass meine Bude die Hölle war.



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