Mauerpfeffer. Roman by Ursula Eisenberg
Autor:Ursula Eisenberg [Eisenberg, Ursula]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105605394
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-26T16:00:00+00:00
7. Kapitel
Annelies Fieber ist noch um zwei Striche gestiegen, Rücken und Brust sind gesprenkelt.
»Gehst du heut weg?« fragt sie matt.
»Nein«, beruhigt sie Kirsten. »Heute ist Samstag. Ich fahr schnell zum Markt, aber sonst bleib ich bei dir.«
»Aber das mußt du ja gar nicht.« Anne richtet sich auf.
»Kannst gehn wegen mir.« Sie fällt wieder aufs Kissen.
»Aber…«, beginnt Kirsten.
»Laß nur«, sagt Anne. »Ich schlaf sowieso. Und mag auch nichts essen.«
»Ich weiß nicht …«
»Aber wenn ich es doch sag!« schreit das Kind. »Ich kann viel besser schlafen, wenn du nicht immerzu rumläufst.«
Ratlos und etwas gekränkt verläßt Kirsten den Raum, kniet sich auf die Küchenbank und sieht aus dem Fenster. Die Straße ist belebter als sonst um die Zeit. Gerade knattern zwei Trabis einander entgegen, hupen und hinterlassen grau durchscheinenden Qualm.
Menschengruppen passieren hüben und drüben, zu dritt, zu viert, bleiben stehen, gehen weiter und sehen sich dann wieder um.
Wie muß das erst in der Stadt sein!
Warum soll sie nicht gehen, wenn Anne es schon erlaubt?
Sie steckt noch einmal den Kopf in das Kinderzimmer hinein. Das Mädchen liegt auf dem Rücken und öffnet die Augen einen winzigen Spalt.
»Also, ich geh«, sagt Kirsten. »Schlaf dich schön aus, und laß keinen ins Haus.«
Annelie nickt, hat wieder die Augen geschlossen.
Kirsten schlüpft in die Jacke, dann fällt ihr noch etwas ein: »Also, wenn jemand klopft, guck nach, wer es ist, aber laß niemanden rein.«
Auf dem Fahrrad zur S-Bahn tritt Kirsten gegen ihr Herzklopfen an und gegen Schwindelgefühle. Jetzt Geschichte erleben! Soll Annelie sich allein gesundschlafen, wenn sie unbedingt will. Sie, Kirsten, wird nicht lange weg sein. Einmal Anhalter Bahnhof und wieder zurück, dann einkaufen, was sie fürs Wochenende noch brauchen.
Unendlich viele sind unterwegs. Am Bahnhof Friedrichstraße ergießt sich ein Menschenstrom in den Zug, der jeden Ausgang blockiert. Die toten Bahnhöfe »Unter den Linden« und »Potsdamer Platz« werden im üblichen Tempo durchrast.
»Anhalter Bahnhof« läßt Kirsten sich mit vielen anderen zum Zug hinaustreiben. An dieser S-Bahnstation hat sie sich schon öfter verlaufen. Das Straßenkreuz am Askanischen Platz verwirrt sie immer aufs neue. Heute jedoch geht sie, ohne zu denken, in die richtige Richtung. Stößt mit den Menschen um sie herum in die Weltgeschichte hinein.
Knallblauer Himmel. Straßen, verstopft mit kleinen, großen, westlichen, östlichen Autos. Langsam sich vorwärtsschiebende, lärmende, stinkende Fahrzeuge mit begeistert winkenden Menschen darin.
Weltgeschichte ist: Fußgänger, schneller als Autos. Niemand beklagt sich über Auspuffdünste und Lärm, jeder winkt freundlich zurück.
Weltgeschichte sind: Klapptische mit Berliner Bärenmaskottchen, Brandenburger Tor oder Gedächtniskirche im wirbelnden Schnee, umgeben von handtellerkleinen gläsernen Kuppeln.
Weltgeschichte sind: ein helles Klappergeräusch, das Kirsten heftig verstört. Immer wieder hackt jemand mit Hammer und Meißel Steinbrocken aus der bunten Mauer heraus.
Weltgeschichte heißt: plattgedrückt werden, Popelineanoraks, Wildleder, Glattleder, Goretex, Strickjacken, Nylon beiseite zu zwängen, nur um den Standort zu wechseln.
Weltgeschichte bedeutet: am Zoologischen Garten angekommen zu sein, ohne zu wissen, wie, und auf der Treppe zu ahnen: Keine Chance, hier je in die U-Bahn zu steigen. Vor Menschenfülle nichts kaufen zu können.
Kirsten läuft die Joachimsthaler hinunter, die für Autos gesperrt ist. Am Bahnhof Spichernstraße gelingt es ihr, einen Zug zu betreten, allerdings Richtung Süden. Über Hermannplatz und Gesundbrunnen erreicht sie die S-Bahn nach Hermsdorf.
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