Gilbert, Elizabeth by Eat Pray Love

Gilbert, Elizabeth by Eat Pray Love

Autor:Eat, Pray, Love
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 2010-10-11T13:10:42.113000+00:00


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Heute Morgen habe ich verschlafen. Das heißt: Ich habe doch tatsächlich bis Viertel nach vier im Bett gelegen. Nur wenige Minuten, ehe die Gurugita beginnen sollte, wachte ich auf, zwang mich zum Aufstehen, spritzte mir ein bisschen Wasser ins Gesicht, zog mich an und wollte schon - so verklebt, griesgrämig und verärgert - in die dunkle Nacht hinaustreten, als ich feststellen musste, dass meine Zimmergenossin schon vor mir gegangen war und die Tür abgeschlossen hatte.

Dies fertig zu bringen war wirklich allerhand. Das Zimmer ist sehr klein, und zu übersehen, dass die Zimmergefährtin noch schläft, ist schlechterdings unmöglich. Darüber hinaus ist sie wirklich eine verantwortungsbewusste, praktische Frau: Mutter von fünf Kindern, Australierin. Es passt nicht zu ihr. Doch sie hat es getan. Hat mich buchstäblich eingesperrt.

Das ist eine gute Entschuldigung, um nicht zur Gurugita gehen zu müssen - war mein erster Gedanke. Und mein zweiter Gedanke? Nun - es war nicht einmal ein Gedanke. Es war eine Handlung.

Ich sprang aus dem Fenster.

Genauer gesagt, ich kletterte nach draußen und hielt mich mit verschwitzten Händen am Geländer fest. Während ich einen Moment lang im Dunkeln über dem Erdboden baumelte, um mir die vernünftige Frage zu stellen: »Warum springst du aus diesem Gebäude?« Die Antwort kam prompt: Ich muss zur Gurugita. Dann löste ich meinen Griff und ließ mich rückwärts etwa vier bis fünf Meter durchs Dunkel auf den Betongehsteig hinunterplumpsen, wobei ich im Fallen etwas streifte, das mir das rechte Schienbein aufschlitzte - doch das war mir egal. Ich rappelte mich auf und rannte, während mir der Puls in den Ohren hämmerte, barfuß den ganzen Weg bis zum Tempel, fand einen Platz, öffnete mein Gebetbuch im selben Moment, in dem der Chant begann, und fing an - während mir fortwährend das Blut das Bein hinabrann -, die Gurugita zu singen.

Erst nach einigen Versen kam ich wieder zu Atem und konnte meinen normalen Morgengedanken fassen: Ich will nicht hier sein. Sofort hörte ich Swamiji in Gelächter ausbrechen und sagen: So wie du dich verhältst, willst du doch offensichtlich hier sein.

Okay also, versetzte ich, du hast gewonnen.

Ich saß, sang, blutete und dachte, dass es vielleicht an der Zeit war, meine Einstellung zu dieser spirituellen Übung zu revidieren. Eigentlich soll die Gurugita eine Hymne der reinen Liebe sein, irgendetwas aber hatte mich von wirklich aufrichtiger Liebe abgehalten. Und als ich nun Vers um Vers chantete, merkte ich, dass ich irgendetwas - oder - jemanden - finden musste, dem ich diese Hymne widmen konnte, um diesen Punkt der reinen Liebe in mir zu finden. Beim zwanzigsten Vers hatte ich ihn: Nick.

Nick, mein Neffe, ist acht Jahre alt, ein bisschen mager für sein Alter, beängstigend gescheit, sensibel und kompliziert. Schon Minuten nach seiner Geburt war er der einzige unter den plärrenden Neugeborenen im Kreißsaal, der nicht weinte, sondern mit weltklugen und besorgten Augen um sich blickte, als habe er dies schon viele Male getan und wisse nicht so recht, ob er sich darüber freuen solle, es abermals tun zu müssen. Für Nick wird das Leben nie einfach sein,



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