Luftholen. Roman by Oliver Wnuk

Luftholen. Roman by Oliver Wnuk

Autor:Oliver Wnuk [Wnuk, Oliver]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104022536
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2012-12-11T16:00:00+00:00


Wenige Minuten später hat die Haushälterin Rosi den großen weißen Sonnenschirm aufgespannt, uns Kaffee und selbstgemachten Apfelkuchen serviert. Wir essen mit Silberbesteck und trinken gekühltes Mineralwasser aus Kristallgläsern, durch die das Licht der späten Nachmittagssonne glitzernde Muster auf unsere Gesichter wirft.

»Der ist so lecker«, sagt Maria glücklich und mit vollem Mund.

»Ja«, freut sich Regina über diese unverstellte Begeisterung. »Rosis Apfelkuchen bleibt unübertroffen.«

Im Gegensatz zu uns hat sie sich aber nur ein schmales, bescheidenes Stück reichen lassen, und selbst das bleibt von ihr weitgehend unberührt.

»Regina, ich wusste gar nicht, dass … also, dass Sie so leben … wie Sie leben … hier.«

»Woher sollten Sie auch, mein Lieber?«, antwortet Regina.

»Warum waren Sie so lange nicht mehr bei uns in der Therme? Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da waren Sie fast jeden Tag da. Wann war das? Vor drei, vier Jahren?«

»Ja, vor etwa vier Jahren habe ich beschlossen, wieder mehr hier zu leben. Das stimmt, Josch …«

Sie nippt an ihrem Kaffee und sieht mich an. »Nun, wenn Sie schon so fragen … Ich hatte einen Freund. Einen Lebensgefährten. … Aber nach ein paar Jahren habe ich die Beziehung beendet.«

»Ach … Das ist ja … schade«, sagt Maria.

»Na ja. Wie man’s nimmt«, antwortet Regina und sieht mit undurchsichtiger Miene auf den See hinaus.

»Nein, also, ich meine … Entschuldigung … Was ich meinte … dass es ja eher ungewöhnlich ist, wenn …«, windet sich Maria und errötet dabei sogar ein wenig.

»Wenn sich alte Menschen voneinander trennen? Auf diese Weise? Das hört man nicht so oft, nicht wahr? Da mögen Sie recht haben, Maria. In meinem Alter übernimmt diese Aufgabe meistens der Tod und nicht der Partner. Meinten Sie das?«

Ich mag Reginas Art, Dinge offenzulegen, die ganz leicht unter der Oberfläche mitschwingen. Es waren genau diese Pfeilspitzen und entwaffnenden Kommentare, wegen derer sie mir über die Jahre in Erinnerung geblieben ist.

»Ja … Das … das meinte ich, glaube ich.«

Das Unverblümte an ihr.

»Wissen Sie … Er war nicht der Richtige. Vielleicht war er der Letzte. Ja, bestimmt sogar. Aber der Richtige war er deshalb noch lange nicht.«

Ihr Kater springt ihr auf den Schoß und will gestreichelt werden.

»Er war Heizungsinstallateur in erster und ein begnadeter Maler und Zeichner in zweiter Linie. Mein Verhängnis war, dass ich immer lieber den Künstler als den Arbeiter in ihm sehen wollte. Das wurde mit der Zeit sehr mühsam. Und eines Tages fiel mir auf, dass es zu viele Dinge waren, die ich anders sah als er. Ganz prinzipielle Dinge. Na und dann … dann ging es eben nicht mehr.«

»Und das Haus hier …?«, frage ich.

»Alter Familienbesitz.« Sie nippt an ihrem Wasser und wartet, ob ich mich mit der Kargheit ihrer Antwort zufriedengebe. »Die Schweizer haben schon immer gewusst, wann und wie die Uhren richtig ticken.«

Über alles scheint sie dann doch nicht sprechen zu wollen, was sie nun offenbar dazu veranlasst, den Spieß einfach umzudrehen. »Sie wollen also zu Ihrem Sohn?«

»Ja.«

»Vorhin habe ich rausgehört, dass Sie sich jahrelang nicht mehr gesehen haben. Darf ich fragen, warum?«

»Das ist sehr kompliziert …«

»Verstehe. Kompliziert …?« Wir sehen uns einen Moment in die Augen.



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