Lovric, Michelle - Melodie der Meerjungfrauen1 by Lovric Michelle

Lovric, Michelle - Melodie der Meerjungfrauen1 by Lovric Michelle

Autor:Lovric, Michelle [Michelle, Lovric]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-14T04:00:00+00:00


Der Feind des Feindes

Spät am Abend des 11. Juni 1899

Es war die Dame in Grau.

Signorina Grigiogatta machte kein Licht. Sie guckte in den Spiegel und schien sich im Mondschein gut erkennen zu können. Sie leckte ihre Handgelenke ab und fuhr sich damit übers Gesicht. Dann senkte sie den Kopf und leckte sich über die Schultern. Zum Schluss zog sie einen langen grauen Schwanz aus ihrem Unterrock heraus und leckte ihn sorgsam ab, bevor sie ihn wieder unter ihrem weiten Rock verstaute. Anschließend widmete sie sich ihren Händen. Lange schimmernde Nägel wie Krummdolche wurden ausgefahren. Sie legte die Finger darum und zog sie wieder ein. Anschließend holte sie ein großes Satintäschchen aus ihrer Handtasche und legte eine neue Schicht dickes weißes Make-up auf ihr Gesicht. Dann verließ sie den Raum.

Vor der Tür hörte Teo ein seltsames Geräusch, als wäre die anmutige Dame in Grau sanft auf den Boden gefallen. Ob sie etwas fallen gelassen hatte? Ihre leisen Schritte hörten sich an, als würde sie ein Paar Samtpantoffeln tragen.

Als sie verklungen waren, rannte Teo hinaus und erzählte Renzo von dem pelzigen Schwanz und dem ungewöhnlichen Benehmen.

»Wo ist sie jetzt?«, wollte Renzo wissen.

»Ich glaube, sie ist zurück in ihr Büro gegangen. Ich habe gehört, wie die Tür geschlossen wurde.«

»Vielleicht arbeitet sie so spät noch.«

Die Kinder versuchten, Signorina Grigiogatta zu vergessen. Sie entzündeten ihre Fischdrachen und gingen los.

Ihr Problem war, dass sie sich zwar Gedanken gemacht hatten, wie sie ins Archiv hineinkamen, nicht aber darüber, wie sie finden könnten, was sie suchten. Das war umso schwieriger, als sie keine Ahnung hatten, wie es aussah. Die Meerjungfrauen hatten sie gewarnt, dass das Zauberbuch vielleicht getarnt und gar nicht als Buch erkennbar sein könnte.

»Aber«, argumentierte Teo, »es muss trotzdem so ähnlich aussehen wie ein Buch, sonst wäre es doch nicht im Archiv, oder? Dann würde es doch sofort auffallen.«

Sie durchsuchten die Regale, bis sie zur Abteilung mit dem vierzehnten Jahrhundert kamen. Die Tiepolo-Kartons waren mit abschreckenden Vorhängeschlössern gesichert und die Beschriftungen lauteten: »Streng geheim« und »Non Toccare, Pena la Morte« - Berühren bei Todesstrafe verboten.

Auf den Bibliotheksleitern kletterten die Kinder zu den Regalen hoch und öffneten mithilfe einer Ecke vom Schlüssel zur geheimen Stadt eins der Schlösser. Der Deckel des Kartons hob sich und stöhnte wie jemand, der im Sterben liegt.

»Pass auf!«, schrie Renzo, als Dutzende von Pergamentbögen herausgeflogen kamen und sich in Pfeile mit nadelscharfen Spitzen verwandelten.

Die Pergamentpfeile bildeten eine Formation wie ein Schwarm weißer Fledermäuse. Immer schneller flogen sie angriffslustig auf Renzo und Teo zu. Die Kinder schrien, als das scharfe Papier sie in Ohren, Augenlider und Mund schnitt.

»Das ist ja schlimmer als die Haie!«, brüllte Teo.

»Pssst!«, flüsterte Renzo. »Kein Lärm! Sonst hört uns Signorina Grigiogatta.«

Zu spät. Die Leitern, auf denen sie hockten, wackelten bedenklich. Nach einem weiteren Angriff der Pergamentpfeile fielen sie mit lautem Getöse zu Boden. Teo landete auf Renzo, der vor Schmerzen stöhnte. Die weißen Pfeile schossen jetzt zielsicher nach unten.

»Kann Papier einen umbringen?«, keuchte Teo.

»Ich weiß nicht«, ächzte Renzo. »Aber das da bestimmt.« Er zeigte auf etwas.

Eine riesige graue Katze raste in den Raum.



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