Lotte in Weimar by Mann Thomas

Lotte in Weimar by Mann Thomas

Autor:Mann, Thomas [Mann, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-10-400301-6
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2012-01-04T16:00:00+00:00


»›Du beschämst wie Morgenröte

Dieser Gipfel ernste Wand –‹

Was sagen Sie dazu?« fragte er, noch immer mit der erschrokkenen Stimme. »Sagen Sie nichts, bevor ich hinzugefügt habe, daß auf die ›Morgenröte‹ sein eigener gesegneter Name gereimt ist, – das heißt, es steht ›Hatem‹ da, aber durch die Maske des Unreims tönt schalkhaft innig der ichvolle Reim hindurch: ›Und noch einmal fühlet Hatem –‹ Wie mutet Sie das an? Wie berührt Sie diese feierlich ihrer bewußte Größe, von Jugend geküßt, von Jugend beschämt?« – Er wiederholte die Verse. »Welche Weichheit, mein Gott, und welche Majestät!« rief er. Und vornübergebeugt preßte der junge Goethe die Stirn in die flache Hand, deren Finger in seinen Locken wühlten.

»Es ist nicht zu bezweifeln«, sagte Charlotte mit Zurückhaltung, da ihr dieses leidenschaftliche Gebahren anstößiger war als sein früherer Jähzorn, »daß die öffentliche Welt Ihre Bewunderung teilen wird, wenn diese Collektion einmal zu Tage tritt. Freilich wird noch so schalkhaft bedeutenden Poesieen eine derart ausgreifende Weltwirksamkeit wohl niemals zuteil werden können wie einem noch dazu von eigener Jugend beschwingten Romanenbuch. Man mag das beklagen, wenn man {255}will. – Und die Wiederholungen? – Sie haben Ihre Frisur lädiert. Ich reiche Ihnen mein Kämmchen, wenn Sie wollen. Nein, es scheint, dieselben Finger, die sie zerstörten, können sie auch wiederherstellen. – Und mit den Wiederholungen also hatte es damit ein Ende?«

»Sie sollten ein Ende haben«, erwiderte August. »Diesen Sommer, nach Mutters Tode, war Vater recht sehr in Zweifel, wo er die Badekur brauchen solle. Wiesbaden? Töplitz? Karlsbad? Man merkte ihm wohl ab, daß es ihn stark gen Westen, ins Rheinische zog, und es war, als wartete er auf ein Zeichen der günstigen Gottheit, die voriges Mal den Dämon des Krieges paralysiert, daß er seinem Hange folgen dürfe. Auch fand sich dergleichen. Sein Freund, der unterhaltende Zelter reiste nach Wiesbaden und setzte ihm zu, ihm zu folgen. Er aber wollte das Zeichen nicht annehmen, nicht geradezu. ›Sei es der Rhein‹, sagte er, ›aber nicht Wiesbaden, sondern Baden-Baden, wo der Weg denn doch einmal über Würzburg, nicht über Frankfurt führt.‹ Gut denn, der Weg brauchte nicht just über Frankfurt zu führen, um allenfalls auch dorthin zu führen. Kurzum, am 20. Juli reiste Vater ab. Er bestimmte Meyern, den Kunst-Professor, zu seinem Begleiter, der darob nicht wenig strahlte und prahlte. Aber was geschieht? Zeigte jene so günstige Gottheit sich gar empfindlich und spielte den Kobold? Zwei Stunden hinter Weimar wirft der Wagen um –«

– »Du meine Güte!« –

»und beide Insassen purzeln übereinander auf die mit soviel Selbstbeherrschung gewählte Straße, wobei Meyer recht blutig an der Nase verletzt wurde. Trotzdem denke ich nicht an ihn, der für die Freuden der Eitelkeit bezahlen mochte. Aber es ist beschämend, obgleich es auch wieder zu einer peinlichen Heiterkeit reizt, sich die feierlich ihrer bewußte Größe vorzustellen, wie sie, längst gewohnt, sich nur noch in bedachter Gemessenheit zu bewegen, mit besudelten Kleidern und aufgelöster Kragenbinde in einem Straßengraben krabbelt.«

{256}Charlotte wiederholte:

»Um Gottes willen!«

»Es war nichts«, sagte August. »Das Mißgeschick, der Schabernack, wie soll ich es nennen, lief vollkommen glimpflich ab.



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