Lesen by Dehaene Stanislas

Lesen by Dehaene Stanislas

Autor:Dehaene, Stanislas [Dehaene, Stanislas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-13T05:00:00+00:00


Wie ein Echo klingt die Antwort von Sir Thomas Browne:

»Der Finger des Herrn hat auf all Seinen Werken eine Inschrift hinterlassen; sie ist nicht grafisch oder aus Buchstaben zusammengesetzt, sondern aus ihren vielfältigen Formen, Zusammensetzungen, Teilen und Tätigkeiten gemacht, die bei geschickter Zusammenstellung ein Wort ergeben, das ihre Natur ausdrückt.«

Kehren wir von diesen mystischen Höhen zurück ins Labor der bildgebenden Verfahren für das Gehirn. Wie ließe sich die Hypothese überprüfen, wonach das Lesen von Wörtern und das von Tierspuren im Gehirn miteinander konkurrieren? Man müsste diverse Bilder aus der Natur – Gesichter, menschliche Körper, Tiere, Abdrücke, Bäume, Pflanzen, Mineralien, Flüsse, Wolken usw. – auswählen und das Mosaik der zerebralen Aktivierung auf der Oberfläche der unteren Sehrinde sichtbar machen. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, dass man diesen Versuch mit zwei Gruppen von Probanden vergleichbaren Alters durchführen müsste: Eine Gruppe kann lesen, die andere kennt sich nur im großen Buch der Natur aus. Würde das Mosaik durch den Leseerwerb verformt? Sähe man, wie bestimmte Gebiete auf der Hirnrinde verlagert oder gehäuft würden oder gar ganz verschwänden, während dafür eine Reaktion auf geschriebene Wörter auftritt? Würde speziell die auf Tierspuren reagierende Region durch den Leseerwerb in die rechte Hirnhälfte zurückgedrängt oder einfach ausgelöscht?

Während ich dieses Buch schreibe, hat noch niemand diese Ideen überprüft. Mein Team hofft, in den kommenden Jahren Versuche dieser Art durchführen zu können. In der Zwischenzeit kann die Hypothese des neuronalen Recycling statt im Bereich des Lesens auf anderen Gebieten in Angriff genommen werden. Tatsächlich widmen manche passionierten Mitmenschen einem speziellen kleinen Sachgebiet ebenso viel Zeit wie andere dem Lesen. Wie strukturiert sich das Gehirn eines Autoliebhabers, der auf den ersten Blick einen Studebaker Gran Turismo von einer Alfa Romeo Giulietta unterscheiden kann? Welche neuen Regionen widmen sich beim Spezialisten für Vogelkunde den vielen Dutzend Arten von Säbelschnäblern oder Schnepfen? Haben diese intensiven Lernvorgänge auch einen Preis?

Solche Fragen werden mittlerweile von einem Netzwerk aus »Experten für Spezialwissen« unter der Federführung der kanadischen Forscherin Isabel Gauthier untersucht. Zusätzlich zu den Auto- und Vogelfreunden haben sie auch einige Probanden dazu gebracht, gegen Bezahlung stundenlang zu lernen, wie seltsame virtuelle Gestalten namens »Greebles« (siehe Abbildung unten) voneinander zu unterscheiden sind – eine Familie von Formen, die entworfen wurden, um die Fähigkeiten von Menschen für visuelle Erkennung zu testen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.