Leidenschaft und Tugend by Gustave Flaubert

Leidenschaft und Tugend by Gustave Flaubert

Autor:Gustave Flaubert [Flaubert, Gustave]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: MOST Publishing


Kap. 5

Da war sie nun wieder, aber allein! Keiner, der sie in seinen Armen hielt, nichts, was sie noch lieben konnte... Was blieb ihr noch? Oh, der Tod, hundertfach, und das Grab – wenn sie, trotz seines Abschieds und trotz ihrer Niedergeschlagenheit, in ihrem Herzen nicht doch noch ein wenig Hoffnung gehabt hätte.

Was erhoffte sie denn noch?

Sie wußte es selber nicht, sie hatte eben immer noch Glauben ans Leben. Sie glaubte immer noch, daß Ernest sie liebte, als sie eines Tages wieder einmal einen Brief von ihm bekam; aber er wurde für sie nur zu einer Enttäuschung mehr.

Der Brief war lang, gut gedrechselt, voller blumiger Wendungen und schöner Worte. Ernest erklärte ihr darin wieder, von Liebe könne und dürfe keine Rede mehr sein; man müsse vielmehr an seine menschlichen Pflichten, auch Gott gegenüber, denken; und dann gab er ihr auserlesene Ratschläge für ihr Familienleben, über mütterliche Liebe und alles andere mit auf den Weg und schloß mit ein paar Gefühlsseligkeiten im Stil des Monsieur Bouilly oder der Madame Cottin.

Arme Mazza! So viel Liebe, so viel Herzensglut – für solch kalte Gleichgültigkeit, solch schönrednerische Gemütsleere! Sie brach in sich zusammen, der Lebensekel überkam sie. »Ich glaubte«, entrang es sich ihr einmal, »man könne am Kummer sterben!« Aus dem Ekel fiel sie in Bitternis und brennenden Neid auf alles.

Nun erst wurde das laute Treiben der Welt ihr ganz zu einer Höllenmusik voll greller Dissonanzen und die Natur zu einer Spottgeburt Gottes. Nichts liebte sie mehr, und sie nährte Haß in sich gegen alles. In dem Maße, wie jedes Gefühl ihr aus dem Herzen wich, schlich der Haß sich so in sie ein, daß sie nichts mehr auf Erden liebte – außer immer noch den einen, einzigen... Sooft sie in den öffentlichen Parks die jungen Mütter sah, wie sie mit ihren Kindern spielten und unter ihren Liebkosungen lächelten, und die Frauen Seite an Seite mit ihren Männern und die Liebhaber Arm in Arm mit ihren Geliebten und zuschauen mußte, wie glücklich all diese Leute da waren, einander zulächelten, das Leben liebten, wallte der Haß in ihr auf, und sie beneidete und verfluchte sie alle zugleich. Sie hätte sie alle zusammen mit den Füßen zertrampeln mögen! Ihr ironisch zuckender Mund warf denen da nur ein halb gemurmeltes Wort der Verachtung, ein Lächeln der Überlegenheit hin und fand so darüber weg.

Andere Male, wenn man ihr sagte, wie glücklich sie doch sein müsse in ihrem Leben, mit ihrem Vermögen, bei ihrem Range, wie gut sie aussehe, wie blühend und frisch, man könne ihr geradezu anmerken, wie glücklich sie sei und daß ihr nichts fehle, dann lächelte sie auch dazu, rasenden Zorn in der Seele, und stöhnte innerlich: ›Oh, diese Stumpfsinnigen alle, die nichts als Glück sehen auf einer ruhigen Stirn und nicht den leisesten Schimmer haben, daß es die Martern sind, die uns das Lachen entreißen!‹

Ihr wurde seither das Leben zu einem einzigen langen Schrei der Qualen. Sah sie Frauen, die sich mit ihrer Tugend, andere, die sich mit ihrer Liebe brüsteten, so hatte sie nur beißenden Spott für ihre Tugenden und ihre Liebschaften.



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