Krawanen der Nacht by James A. Michener

Krawanen der Nacht by James A. Michener

Autor:James A. Michener
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-02-26T23:00:00+00:00


10

Sobald es hell genug war, bewältigten wir die Fahrt durch die unangenehmen Gebirgsschluchten. Als die Sonne voll am Himmel stand, waren wir bereits in der Wüste. Mitunter hielten wir an, um unsere Turbane zu begießen. Zuerst fuhr ich mit Nur und dem Kranken, dem ich feuchte Kompressen machte. Trotzdem verschlechterte sich sein Zustand zusehends, und bei einem neuen Halt bestand Stieglitz darauf, den Platz mit mir zu tauschen. Zu Anfang unserer Fahrt hatte ich nicht geglaubt, daß Pritchard bis hierher überhaupt noch am Leben sein würde. Fast war ich bereit, Stieglitz recht zu geben, obwohl es Pritchard jetzt deutlich viel schlechter ging.

Nachdem Nazrullah und ich eine Weile über Pritchard gesprochen hatten, fragte er plötzlich: »Was möchten Sie noch über meine Frau wissen?«

Die Frage erstaunte mich. In meiner Verblüffung wußte ich nichts Besseres zu sagen als: »Sie ist Ihnen also davongelaufen?«

»Ja, letzten September.«

»Das ist acht Monate her.«

»Mir kommt es länger vor.« Er strich sich über den Bart. Unter seinem nassen Turban sah er recht asiatisch aus.

»Warum ist sie davongelaufen?« wagte ich zu fragen.

»Das würden Sie nicht verstehen«, antwortete er mit einem nervösen Auflachen. Wahrscheinlich hätte er mir wirklich gerne geholfen, aber die Tatsachen schienen so kompliziert, daß er augenscheinlich keinen Mut hatte. In seiner Hilflosigkeit erinnerte er mich an jenen besorgten Ehemann in der Sprechstunde von Dr. Stieglitz, der zwischen dem Arzt und seiner Frau hin und her geeilt war und doch nur das zu berichten vermochte, was er selber verstand.

Ich gab mich also zufrieden, zumal die Bedingungen, unter denen er den Wagen lenken mußte, sehr schwer waren. Es war unerträglich heiß, und wir rangen beide nach Luft.

»Für Pritchard muß es höllisch sein«, sagte er.

»Deswegen war ich ja gestern auch so außer mir«, erinnerte ich ihn.

»Bitte, fangen Sie nicht wieder damit an.«

»Übrigens habe ich in Kandahar Ihre andere Frau kennengelernt«, sagte ich.

»Ich weiß, Karima hat es mir geschrieben.«

»Wieso«, fragte ich erstaunt, »wir waren ja bereits auf dem Weg hierher, als wir sie aufsuchten.«

»Der Bote, der Dr. Stieglitz gebracht hat, hatte den Brief bei sich«, sagte er, und wir mußten beide lachen.

»Tut mir leid«, sagte ich, »aber die ganze Sache ist mir unbegreiflich.«

»Für mich noch mehr als für Sie«, bekannte er.

»Dann hat Ihre Frau – hat Karima also die Wahrheit gesagt? Sie hatten es Ellen mitgeteilt?«

»Was Karima sagt, ist immer die Wahrheit, Miller.«

»Ist sie schön?« fragte ich spontan.

»Ja, sehr schön. Es war recht albern, daß sie sich verschleiert hat.«

»Wahrscheinlich tat sie es wegen Nur.«

Nazrullah fing an zu lachen. »Dabei fällt mir etwas ein, was Ihnen vielleicht mehr Aufschluß über Ellen geben wird als vieles andere. Ich verstehe Ihr Mißtrauen. Sicher denken Sie, daß sie schlecht behandelt worden ist. Ich kann freilich nicht mehr tun, als Ihnen das Gegenteil versichern. Jeder einzelne in meiner ganzen Familie versuchte ihr das Leben so schön und so erträglich zu machen wie irgend möglich. Ja, also wissen Sie, was sie tat? Am ersten Morgen nach unserer Hochzeit kam sie zum Frühstück … verschleiert.«

»Was?«

»Ja, Sie haben richtig gehört. Sie trug einen kostbaren Chaderi, den sie sich in London hatte machen lassen.



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