Kleines Meerstück und Romàns by Pier Paolo Pasolini

Kleines Meerstück und Romàns by Pier Paolo Pasolini

Autor:Pier Paolo Pasolini [Pasolini, Pier Paolo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Folio
veröffentlicht: 2015-09-28T16:00:00+00:00


III

23. März

Renato ist heute früh zu mir gekommen. Wir haben vor allem über meine Schule gesprochen, auch über seine: Wir waren uns außerordentlich eins. Aber ich beneide und bewundere ihn. Er ist so viel reiner, einfacher, menschlicher. Seine Mängel, wenn es welche gibt, hinterlassen in ihm und in seinen Handlungen nicht jenen ungesunden, üblen Bodensatz, den sie, wie mir scheint, in mir hinterlassen. Wieviel mehr Ordnung steckt in ihm! Wieviel mehr Verständnis für sich selbst und die anderen.

Aber das, was mich an unserer Unterhaltung noch mehr interessierte, ist eine Episode, die er mir so nebenbei erzählt hat … Eigentlich vermerke ich nur deswegen Renatos Besuch hier. Es handelt sich um Folgendes: Letzten Sonntag hatte das jährliche Dorffest in San Pietro stattgefunden. Große Vorbereitungen, die wie ein Zucken durch das Herz des Dorfes liefen (am Samstagabend hörte ich bis spät in die Nacht Stimmen, Gesänge, Rufe). Am Ortsrand von Romàns wurde in einem schlecht beleuchteten Raum getanzt, der nach Renatos Schilderung den Eindruck eines großen Floßes machte, das inmitten einer lärmenden, vor Ausgelassenheit halb verrückten Menge trieb. Ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus, habe nur eine vage Erinnerung aus der Jugendzeit: Aber in meinem Dorf im euganeischen Veneto spielte sich vielleicht alles ein wenig anders ab, die Leute waren rückständiger und gottesfürchtiger, und die Dorffeste verliefen in einer archaischen, familiären Atmosphäre. Hier, scheint es, herrscht mehr Zügellosigkeit, eine Art Gaudium, die solchem Taumel (wie Renato sagt) einen ganz anderen, einzigartigen Charakter verleiht. Romàns hallte wider von Schreien, Stimmen, Gesängen von Betrunkenen, Tollheiten der Jugend … Neben dem Tanzsaal, wo die Menge sich dem Höhepunkt der guten Stimmung und des Durcheinanders näherte, war das Büffet aufgebaut, eine Baracke mit Tischen und Bänken. Renato war mit einigen seiner Kollegen zum Fest gegangen und, wie es schien, sehr beeindruckt von dem Spektakel, das sich ihm bot.

In dem Augenblick, in dem der Gipfel des wilden Treibens erreicht war, das heißt, als der Großteil der Männer betrunken oder zumindest ziemlich angeheitert war, befand sich Renato in einem Winkel, wo die aufgeheizte Menge ein wenig zur Ruhe gekommen schien – einer Art zona franca zwischen dem Tanzboden und dem Büffet –, als er von einem etwa vierzigjährigen, blassen, blonden, sehr schüchternen Mann angesprochen wurde, der ihn, um ins Gespräch zu kommen, fragte, „ob er der kommunistische Lehrer sei“: Auf die herzliche, bejahende Antwort Renatos hin begann er etwas unsicher eine Unterhaltung – wobei die Unsicherheit wahrscheinlich mehr seiner fast kindlichen Schüchternheit zuzuschreiben war als dem Wein –, gespickt mit Begriffen, die man in den Sektionsversammlungen lernte. Renato verstand mit Mühe, dass er ihn über die politische Situation einer nicht weit von San Pietro entfernten Ortschaft informierte, in der er wohnte; und er machte das gar nicht schlecht, wenn sich der Zuhörer einmal dazu durchgerungen hatte, die Hindernisse, die seine unlogische, indirekte, trunkene Ausdrucksweise aufwarf, zu ignorieren. Er war ein Fassbinder, der so recht und schlecht von seiner Arbeit leben konnte, trotz der bedrohlichen Sanktionen einer Gruppe katholischer Grundbesitzer, auf die er sich offensichtlich etwas eingeschossen



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