Ketzer by Leonardo Padura

Ketzer by Leonardo Padura

Autor:Leonardo Padura [Padura, Leonardo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: 2. Weltkrieg, Amsterdam, Havanna, Karibik, Kuba, Malerei, Niederlande, Polen, Religion, Rembrandt
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-17T16:00:00+00:00


3

Neues Jerusalem,

im Jahre 5407 der Schöpfung,

1647 allgemeiner Zeitrechnung

Es steht geschrieben: Unsterblichkeit ist ein allerhöchstes Privileg, in dessen Genuss nur einige wenige Auserwählte gelangen. Mit unermesslicher Geduld müssen die Seelen jener Glücklichen im Scheol warten, einem nicht zu bestimmenden Ort, der sich wie eine Wasserader unterhalb der Welt der Lebenden erstreckt. Dort verbleiben sie bis zur Ankunft des Messias und bis zum Jüngsten Gericht, wenn die mutmaßliche, nur wahrscheinliche Auferstehung ihrer Körper und ihrer Seelen erfolgt, worüber am Ende Gottes Wille entscheidet. Von den unzähligen menschlichen Wesen, die über das Antlitz der Erde gewandelt sind, sind einzig die Bewohner des Scheol dazu auserwählt, an diesem letzten Akt teilzuhaben. Es werden Frauen und Männer sein, die ein frommes Leben geführt haben, Kinder, die im Stande der Unschuld gestorben, Menschen, die im Kampf für das Recht und das Gesetz des Allmächtigen und Seines auserwählten Volkes gefallen sind. Elias Ambrosius hatte sich ein sehr persönliches Bild von der Apotheose gemacht, die nach dem Aufenthalt der Seelen im Scheol kommen würde. Sein Großvater, Benjamin Montalbo de Ávila, hatte es ihm am Tag seiner Bar-Mizwa geschenkt, dem Tag seiner Einführung ins Mannesalter und in die daraus resultierende Verantwortung, in der Synagoge zelebriert vom damaligen Rabbi Menasse ben Israel.

»Ich freue mich sehr für dich«, hatte der Alte gesagt, nachdem er seine Kippa zurechtgerückt und ihn auf beide Wangen geküsst hatte. »Du hast Glück, zu einer Zeit und an einem Ort geboren zu sein, von denen jeder Jude träumt, seit wir unser Land verlassen haben und ins Exil gegangen sind. Irgendwann wirst du erkennen, welch Privileg es ist, in dieser Stadt zu leben, und dass Amsterdam Makom ist, der gute Ort. Doch vergiss nie: Es gibt einen noch besseren Ort, an den nur der Messias uns bringen kann; er wird Lebende und Tote miteinander vereinen und uns die Tore Jerusalems öffnen. Deswegen gilt es, in Gedanken und Taten die Ankunft des Gesalbten vorzubereiten, damit wir in jene wunderbare Welt gelangen, in der es immer hell, niemals kalt ist, in der man weder Hunger noch Kummer hat und schon gar keine Angst, denn da ist nichts mehr, vor dem man sich fürchten muss. Für jenen Ort des Wohlbefindens, das Eden vor Adams Sündenfall, müssen wir kämpfen, solange wir an diesem anderen Ort, dem Makom, sind, der, so viel ist gewiss, mein Sohn, keineswegs ein schlechter ist.«

Die Worte des Großvaters und die schönen Bilder, die sie in Elias Ambrosius erweckt hatten, ließen ihn jenen Moment besser ertragen, in dem er zusehen musste, wie der Körper des alten Mannes – gehüllt in den Tallit, den er bei seiner Ankunft in Amsterdam getragen hatte – ins Grab gesenkt wurde, um in den Scheol einzugehen, auf den jener fromme und kämpferische Mann zu Recht hoffen durfte. Während der Chacham ben Israel die rituellen, die Auferstehung beschwörenden Gebete sprach, beschäftigte Elias Ambrosius auch der Gedanke, ob die Nachrichten aus dem östlichen Mittelmeer zutrafen, in denen von einem selbsternannten, Wunder bewirkenden Messias die Rede war, der bei den Juden in aller Welt große Erwartungen weckte.



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