Kein anderes Meer by Danticat Edwidge

Kein anderes Meer by Danticat Edwidge

Autor:Danticat, Edwidge [Danticat, Edwidge]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


ZWEITER TEIL

SEESTERN

Louise George, die Moderatorin der Radiosendung Di Mwen, hustete Blut, während sie menstruierte, schon seit sie mit dreizehn ihre erste Periode bekommen hatte. Über die Jahre hatte sie viele Spezialisten konsultiert und viele Untersuchungen machen lassen, doch keiner der Ärzte konnte ihr eine befriedigende Erklärung dafür geben, warum das Blut aus ihrer Gebärmutter auch in ihre Lunge und dann ihren Mund gelangte. Schlimmer noch, es konnte ihr auch niemand sagen, warum sie mit fünfundfünfzig immer noch nicht in die Wechseljahre gekommen war, sodass es schien, als könnte das alles ewig so weitergehen. Und da in Ville Rose alles Unerklärliche der Geisterwelt zugeschrieben wurde, versuchte Louise, möglichst für sich zu bleiben, wenn sie nicht gerade ihre Sendung aufzeichnete.

Schwierig war das nicht, denn die paar Leute, die ihre blutverschmierten Zähne oder Taschentücher gesehen hatten, befürchteten, sie könnte pwatrinè sein, tuberkulosekrank, und hielten sich folglich von ihr fern. Alle außer Max Ardin, Sr., der nicht nur gelegentlich mit ihr schlief, sondern sie ab und zu auch einlud, den Kindern in seiner Schule vorzulesen.

Max Senior kannte Louise lang genug, um zu wissen, dass ihr Leiden selten war, aber durch einen chirurgischen Eingriff an der Lunge oder eine Hormontherapie behandelt werden konnte. Allerdings waren die Hormone extrem teuer und in Haiti nicht erhältlich, und die Lungenoperation war hochriskant. Also gewöhnte sich Louise an den Blutgeschmack im Mund und haderte nur an den drei, vier Tagen im Monat damit, an denen sie sich selbst völlig aus dem Verkehr ziehen musste.

An den Tagen, die sie allein zu Hause verbrachte, schrieb Louise. Sie schrieb über die Leute in Ville Rose, kleine Häppchen aus der teledyòl, der Gerüchteküche, oder das, was sie im Laufe der Jahre aus ihren Radiointerviews zusammengetragen hatte. Ihr Buch sollte ursprünglich eine Erweiterung ihrer Sendung sein, doch es hatte sich zu einer Art Chorstück entwickelt. Sie selbst bezeichnete es als Schlüsselcollage.

Ein paar Abende nachdem sie einer seiner jüngeren Schulklassen vorgelesen hatte, rief Max Senior sie an und fragte, ob sie ihm zusätzlich den Gefallen tun würde, einen der Alphabetisierungskurse für Erwachsene zu übernehmen, die er an seiner Schule anbot – er war auf die Idee gekommen, einigen der Kinder zu helfen, indem er ihren Eltern das Lesen beibrachte. Die meisten Kinder an der École Ardin hatten Eltern aus höheren Berufsständen – Funktionäre, Geschäftsinhaber –, die sich das hohe Schulgeld leisten konnten, oder wurden von im Ausland lebenden Verwandten finanziell unterstützt. Doch es gab auch ein paar begabte Kinder, deren Eltern mehr oder weniger mittellos waren. Ihnen gewährte Max Senior ein Stipendium.

Louise fürchtete die erste Begegnung mit diesen Stipendiateneltern, auch dann noch, als es so weit war. Im Gegensatz zu den Kindern würden die Eltern nicht einfach freudig zu ihr aufblicken, wenn sie ihnen einige ihrer Lieblingsgeschichten und -gedichte vorlas. Doch die Erwachsenen zu unterrichten würde ihr andererseits nicht nur Gelegenheit geben, die Ausbildung, die sie als junge Frau an der Faculté d’Éducation in Port-au-Prince erhalten hatte, in die Praxis umzusetzen, sondern auch, mögliche Themen für ihre Radiosendung zu sammeln.

Als ihre Sendereihe gerade mal ein



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