Karfreitagsmord by Bea Rauenthal

Karfreitagsmord by Bea Rauenthal

Autor:Bea Rauenthal
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2013-12-10T23:00:00+00:00


7. Kapitel

Man sollte wirklich nicht glauben, wie schwierig es ist, Fingerabdrücke von einem Menschen zu nehmen, mit dem man unter einem Dach lebt, sann Jo düster vor sich hin, während sie unter hohen, alten Bäumen in Richtung der Friedhofsverwaltung ging. Da und dort lagen weiße und rosa Blüten auf dem gepflasterten Zufahrtsweg, die von den Kastanien und Linden gefallen waren. Am vorigen Abend hatte ihr Onkel beschlossen, in seinem Arbeitszimmer zu essen, da er, wie Katharina Jo zu Beginn der Mahlzeit mitteilte – Gottlob war ihre Großmutter noch immer nicht von ihren Besuchen zurückgekehrt – sein Aktenstudium nur kurz unterbrechen wollte.

Jo hatte versucht, das Dienstmädchen abzufangen, das Wilhelms benutztes Geschirr zur Küche brachte. Doch sie hatte die junge Frau verpasst, und als sie in die Spülküche gekommen war, hatten Teller, Besteck und Glas bereits im dampfenden Wasser gelegen, und Katharina hatte den silbernen Serviettenring poliert.

Nach diesem Fehlschlag hatte Jo ihre Hoffnungen auf das Frühstück gesetzt. Aber ausgerechnet an diesem Morgen hatte Wilhelm das Haus bereits sehr früh verlassen. Zu allem Überfluss hatte Jo die Mahlzeit auch noch zusammen mit Malfalda einnehmen müssen. Wenigstens hatte ihre Großmutter Jo wieder ignoriert – was besser gewesen war, als sich von ihr maßregeln zu lassen – und häufig zu dem Gemälde Otto von Bismarcks geblickt, als würde sie stumme Zwiesprache mit ihm halten.

Hinter einer hohen, sorgfältig beschnittenen Buchsbaumhecke tauchte nun die Verwaltung des Hauptfriedhofs auf. Ein verschwenderisch mit Türmchen und Zinnen bestückter neugotischer Bau, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem modernen Zweckgebäude hatte, das Jo aus dem 21. Jahrhundert kannte.

Nachdem Jo in einem Raum mit Spitzbogendecke an einer Art Holztresen einen Klingelzug betätigt hatte, kam ein verhutzelter schwarzgekleideter Mann aus einem Nebenraum gehinkt. »Ich suche nach der Gruft der Familie von Kästnitz«, erklärte Jo. »Könnten Sie mir bitte beschreiben, wo ich die Grabstätte finde?« Während des Zweiten Weltkrieges hatten einige Bomben den Friedhof getroffen, denen auch die Familiengruft zum Opfer gefallen war. Sonst hätte Jo sie in ihrer eigenen Zeit sicher einmal besucht.

Das mürrische Gesicht des Friedhofsbediensteten wurde ein wenig entgegenkommender, als er den Namen von Kästnitz hörte. Er holte einen angegilbten Plan aus einer Schublade und zeigte Jo, welche Wege sie nehmen musste.

Die Gruft war im Stil eines antiken Tempels erbaut – nur in kleinerem Maßstab – und stand unter einer weit ausladenden Kastanie. Auf den Stufen, die zu der schmiedeeisernen Gittertür hinaufführten, lag ein dichter Teppich aus weißen Blüten. In den Ästen zwitscherte eine Amsel.

Jo raffte ihren Rock und stieg die wenigen, niedrigen Stufen zur Gruft hinauf. Sie zog an der Gittertür, die aber, wie zu erwarten gewesen war, verschlossen war. Davor lag ein üppiges Gebinde aus weißen Rosen. Obwohl die Blumen nicht in einer Vase standen, wirkten sie noch recht frisch. Erst am Vortag musste sie jemand dort abgelegt haben.

Wie seltsam, nach dem Tod in einer Gruft beigesetzt zu werden und nicht in einem Grab oder einer Urne, ging es Jo durch den Kopf. Hatte etwas von Dracula. Sie für ihren Teil war nicht traurig darüber, dass es die Familiengruft nicht mehr gab.



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