Ismael by Daniel Quinn
Autor:Daniel Quinn [Quinn, Daniel]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 1991-01-01T00:00:00+00:00
5
»Ich habe eine Frage«, sagte ich. »Ich habe im Verlauf unseres Gesprächs immer wieder darüber nachgedacht, ob die Landwirtschaft nicht schon an sich diesem Gesetz widerspricht. Ich meine, der Widerspruch scheint doch schon per definitionem in ihr angelegt.«
»So ist es - wenn du nur die Definition der Nehmer kennst. Es gibt allerdings auch andere Definitionen. Die Landwirtschaft muà nicht unbedingt einen Krieg gegen alles Leben bedeuten, das ihr im Weg steht.«
»Mein Problem ist wahrscheinlich das: Die Lebensgemeinschaft auf der Erde ist doch eine Art Wirtschaftssystem, nicht wahr? Ich meine, wenn einer mehr für sich nimmt, dann muà für jemand anderen oder für etwas anderes notwendigerweise weniger da sein. Das ist doch so?«
»Ja. Aber warum willst du mehr für dich?«
»Warum?«
»Ja.«
»Aber das ist doch die Grundlage der SeÃhaftigkeit. Ohne Landwirtschaft keine SeÃhaftigkeit.«
»Und du willst das wirklich?«
»Was denn sonst?«
»Du willst also wachsen, bis du die ganze Welt beherrschst und jeden Quadratmeter bebauen kannst?«
»Nein.«
»Aber genau das haben die Nehmer bisher getan - und sie tun es immer noch. Darauf ist ihre Landwirtschaft zugeschnitten: nicht auf SeÃhaftigkeit, nein - auf Wachstum. Auf grenzenloses Wachstum.«
»Also gut. Ich will nur seÃhaft sein.«
»Dafür brauchst du keinen Krieg gegen die Natur zu führen.«
»Aber das Problem bleibt doch bestehen. Wenn ich seÃhaft werden will, muà ich mehr haben als bisher, und dieses Mehr muà von irgendwoher kommen.«
»Das stimmt, und ich sehe dein Problem. Allerdings muà ich sagen, daà die SeÃhaftigkeit keineswegs nur eine menschliche Anpassung an die Umwelt ist. Spontan fällt mir überhaupt keine Art ein, die ausschlieÃlich nomadisieren würde. Irgendein Territorium ist immer vorhanden, sei es eine Weide, ein Laichplatz, ein Bienenstock, ein Nest, eine Hühnerstange, ein Bau, eine Höhle, ein Loch. Und auÃerdem gibt es verschiedene Grade der SeÃhaftigkeit, auch bei den Menschen. Selbst die Jäger und Sammler sind keine reinen Nomaden, und es gibt verschiedene Abstufungen zwischen ihnen und den Völkern, die nur Ackerbauern sind. Einige Jäger und Sammler praktizieren eine intensivierte Sammlertätigkeit und legen Nahrungsvorräte an, die ihnen einen gewissen Grad der SeÃhaftigkeit ermöglichen. Dann gibt es die halben Ackerbauern, die wenig anbauen und viel sammeln, und die Beinahe-Ackerbauern, die viel anbauen und wenig sammeln. Und so weiter.«
»Aber was du sagst, geht immer noch am eigentlichen Problem vorbei«, behauptete ich.
»Das stimmt nicht, aber du bist leider auf nur eine Perspektive des Problems fixiert. Dabei übersiehst du folgendes: Als der Homo habilis auf der Erde erschien, jene besondere Anpassung also, die wir Homo habilis nennen, muÃte ihm irgend etwas Platz machen. Das heiÃt nicht, daà eine andere Art aussterben muÃte. Ich sage nur, daà der Homo habilis von Anfang an mit anderem Leben konkurrierte. Nicht nur mit einer Art, sondern mit tausend Arten, und alle muÃten sich etwas einschränken, damit der Homo habilis leben konnte. Dasselbe gilt für alle Arten, die auf diesem Planeten je entstanden sind.«
»Gut. Aber mir leuchtet immer noch nicht ein, was das mit der SeÃhaftigkeit zu tun hat.«
»Du hörst mir nicht zu. Die SeÃhaftigkeit ist eine Anpassung, die in gewissem MaÃe von allen Arten einschlieÃlich der des Menschen praktiziert wird. Und jede Anpassung existiert in Konkurrenz mit den Anpassungen in ihrem Umfeld.
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