Island-Passion - Roman by Rudolf Habringer

Island-Passion - Roman by Rudolf Habringer

Autor:Rudolf Habringer
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik & Literatur
Herausgeber: Picus Verlag
veröffentlicht: 2012-10-30T04:00:00+00:00


5.9., Dienstag

Das ist meine letzte Eintragung in das Islandbuch 1972. Ich bin hart gelandet. Ich bin in Österreich. Hier geht die Sonne schneller unter. In den Zeitungsredaktionen sitzen Holzköpfe mit Ellbogenschonern. Alina hat mir einen wunderbaren Empfang bereitet. Die WM ist vorbei. Die Realität heißt: Palästinensische Terroristen überfallen das Olympische Dorf in München und nehmen israelische Geiseln.

Als Behrend auf die Uhr sieht, ist es knapp vor Mitternacht. Er überlegt kurz, ob er das Tagebuch in die Kiste zurücklegen soll, nimmt es dann an sich und steckt es in die Innentasche seiner Jacke. Während des Lesens hat er mehrmals schmunzeln müssen: über den jungen Mann, der er gewesen ist, unbedarft und sprunghaft, und seine chaotische Verliebtheit.

Jón fällt ihm ein. Ganz sicher hat auch sein Sohn solche turbulenten Phasen mitgemacht. Als Vater hat er nicht viel von dem mitbekommen, was Jón um seinen zwanzigsten Geburtstag herum getrieben hat, sie haben einander in jenen Jahren selten gesehen. Jón besuchte eine Internatsschule auf dem Land, und wenn sie sich trafen, verliefen ihre Gespräche zäh und mühsam. Lange hat ihm Jón die Trennung von Þórdís nicht verzeihen können. Erst später hat sich ihr Verhältnis wieder gebessert.

Vieles von dem, was Behrend eben gelesen hat, hat er in der Zwischenzeit vergessen gehabt. Jahre löschen Erinnerungen aus. Von einem Piotr aus Polen hat er nie wieder etwas gehört. Und Sigrún aus Garður, in deren Haus er damals die Liebesnacht mit Þórdís verbracht hat, lebt nicht mehr. Sie ist vor Jahren bei einem Winterurlaub auf den Kanarischen Inseln im Meer ertrunken. Über ihren plötzlichen Tod sind Gerüchte verbreitet worden: Ihr Mann, ein Fischer, war eines Tages von einer Böe ins Meer gerissen und nicht mehr gefunden worden. Am Friedhof stand ein Grabstein, unter dem niemand lag und den Sigrún täglich besuchte. Als sie dann vor Lanzarote ertrank, witzelte man hinter vorgehaltener Hand, sie sei ihrem Mann nachgefolgt, nur habe sie sich den wärmeren Teil des Atlantiks ausgesucht.

Es ist zu spät, um die anderen Unterlagen zu untersuchen. Behrend beschließt, das in den nächsten Tagen nachzuholen. Auch die Bänder lässt er auf dem Regal liegen. Vor allem muss er ein Abspielgerät besorgen. Heute, wo man mit jedem Laptop, mit jedem Handy Tonaufnahmen abspielen kann, haben Magnetophone Museumswert. Vielleicht würde er bei Sigmundur, der systematisch die Schuppen der Umgebung nach altem Hausrat abklapperte, fündig werden. Behrend knipst das Licht aus und schließt die Tür. Jetzt erst merkt er, wie müde er ist. Vor dem Leuchtturmwärterhaus pfeift ihm scharfer Wind ins Gesicht. Die Müdigkeit macht ihn frieren. Das Wetter ist dabei, umzuschlagen. Mehrere Tage lang ist es schön gewesen, für die kommenden Nächte ist Frost vorhergesagt worden. Als Behrend zu seinem Wagen geht, läutet das Handy. Vielleicht ist Bjargey aufgewacht und wundert sich, wo er so lange bleibt. Wegen des Windes setzt sich Behrend in den Wagen, bevor er abhebt.

Am Telefon ist Jón, gut gelaunt, wie es scheint. Er wisse wohl, dass es in Island fast Mitternacht sei, er habe aber gespürt, dass Vater noch auf sei. Behrend lacht knurrend. In Jóns Stimme klingt eine Nähe an, die gut tut.



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