In ihren Augen (B009CVB7KA) by Eduardo Sacheri
Autor:Eduardo Sacheri [Sacheri, Eduardo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman, Belletristik
Herausgeber: eBook Berlin Verlag
veröffentlicht: 2012-10-01T04:00:00+00:00
20
Als er vor mir stand, beschlich mich das Gefühl, dass mein Verdacht auf tönernen Füßen stand. Er hatte die Beine leicht gespreizt, wirkte entspannt, als machte es ihm nichts aus, dass er auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt war. Konnte dieser Mann mit dem sanften Gesicht ein Mörder sein?
Die meisten Verdächtigen wurden erst nach drei Tagen Haft dem Richter vorgeführt. In diesen drei Tagen waren sie zur Bewegungslosigkeit verdammt, abgeschnitten von der Außenwelt, angewidert vom Gefängnisfraß. Danach waren sie träge, nervös, und man sah ihnen an, wie sehr es ihnen zu schaffen machte, dem Willen anderer ausgeliefert zu sein.
Nicht so Isidoro Antonio Gómez. Natürlich war auch ihm anzumerken, dass er seit Montag eingesperrt war: der muffige Geruch menschlicher Ausdünstungen, der schwarze Bartschatten im Gesicht, die Turnschuhe ohne Schnürsenkel. Außerdem war seine rechte Hand eingegipst, und über seiner linken Augenbraue hatte sich ein Hämatom gebildet, das sich grünlich verfärbte.
Der Zweifel zehrte an mir. Konnte ein Mörder so gelassen sein? Vielleicht wusste er gar nicht, warum man ihn in den Justizpalast gebracht hatte. Womöglich dachte er noch, es hätte mit seiner Rangelei mit dem Schaffner zu tun. Nein, sagte ich mir: Man sah schon von Weitem, dass er intelligent war. Er wusste, dass er wegen einer anderen Sache vorgeladen war. Doch wie war dann zu erklären, dass er sich in einen solchen Schlamassel geritten hatte? Entweder war er unschuldig oder ein skrupelloses Schwein.
Mein Gehirn lief auf Hochtouren. Wenn er unschuldig war, warum war er dann 1968 abgetaucht? Und wenn er schuldig war, warum hatte er sich im Zug so dämlich verhalten?
Die Nachricht seiner Verhaftung hatte mich am Morgen im Sekretariat erreicht. Báez hatte sie mir telefonisch bestätigt. Wir hatten vereinbart, Gómez zwei Tage zappeln zu lassen, bis zum Donnerstag, damit ich mir mit Sandoval – wem sonst? – in Ruhe Gedanken darüber machen konnte, wie ich das Verhör angehen sollte.
Am Gericht hatte sich in den drei Jahren, die vergangen waren, nur wenig verändert. Den Trottel von Pérez waren wir losgeworden (er war zum Pflichtverteidiger befördert worden). Der Verlust unseres Chefs hatte allerdings die bittere Bestätigung erbracht, dass ein gewisses Maß an angeborener Dummheit einem kometenhaften Aufstieg bei Gericht förderlich war. Mit Doktor Fortuna Lavalle hatten wir nicht so viel Glück gehabt. Er war weiterhin unser Chef und er war weiterhin ein Trottel. Wir schrieben das Jahr 1972: Der Freund eines Freunds von Onganía zu sein war längst kein wirksamer Hebel mehr, um sich ans Berufungsgericht zu hieven. Wenn Fortuna schon zu Glanzzeiten des Generals mit dem Schnauzbart den Sprung nicht geschafft hatte, war es ihm jetzt praktisch unmöglich geworden. Also vegetierte er auf seinem alten Posten vor sich hin. Die gute Nachricht war, dass sein unsäglicher Drang, sich vor seinen Vorgesetzten ins rechte Licht zu rücken, spürbar nachgelassen hatte. Er ließ uns in Ruhe arbeiten, unterzeichnete, was wir ihm vorlegten, und war nicht mehr versessen darauf, dass seine Untersekretäre sich bei Mordfällen an den Tatort begaben. Letzteres war schon deshalb ein Glück, weil sich im Argentinien dieser Jahre die Leichen häuften.
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