Immer nach Hause by Lang Thomas

Immer nach Hause by Lang Thomas

Autor:Lang, Thomas [Lang, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783827078988
Herausgeber: Berlin Verlag


Trauerspiel

Erst heute hat die Magd die letzten Äpfel auf den Mist geworfen. Es war nichts Brauchbares mehr dabei. Nur einen hat Mia wieder herausgelesen. Sie sah ihn leuchten, als sie vorüberging. Jetzt liegt er auf dem kleinen Tischchen, das sie zur Bank hinters Haus gestellt hat. Ein schwarzes Insekt umrundet die Frucht, überquert, ohne abzustürzen, ihren Äquator. Es scheint zu wissen, dass keine Gefahr besteht. In Wirklichkeit rast es blind drauflos. Wenn es einmal fällt, rappelt es sich wieder auf und rennt weiter. Die Schale des Apfels ist noch so glatt wie bei der Ernte. Etwas speckig allerdings. Auf der Mia abgewandten Seite weist er eine Faulstelle auf, etwa so groß wie ein Zwei-Franken-Stück. Vielleicht geht die schlechte Stelle nicht tief und wäre mit einer Drehung des Küchenmessers leicht zu entfernen. Oder der Apfel ist innerlich vollkommen faul. Sie kann es so nicht überprüfen, mag auch nicht aufstehen, um ein Messer zu holen. Sie käme sich dann vor wie früher in der Schule, wenn sie selbst beweisen sollte, dass sie falsch gerechnet hatte.

Bruno schläft seit über einer Stunde. Er war in der letzten Nacht unruhig und ist heute dementsprechend müde. Sie hat ihm erzählt, sein Vater käme heim, und sich eingeredet, etwas von ihren Worten müsse in dem kleinen, nicht mehr gar so kahlen Köpfchen angekommen sein. Daher die Unruhe. Denn der Papa ist nicht erschienen. Und sie ist ohne weitere Nachricht geblieben. Irgendeinen Schlenker wird Hermi gemacht haben, irgendwo hat es ihm gefallen und er wollte noch bleiben. Oder er hat jemand getroffen und zieht mit ihm zusammen durch die Welt. Er trifft ja allerorten auf Bekannte, ganz erstaunlich findet sie das.

In der Früh ist sie zur Baustelle gegangen. Es soll bald Richtfest sein, und doch ist bisher kaum etwas geschehen. Das Zimmerholz liegt ordentlich geschichtet da. Sie lief zwischen riesigen Ziegelstapeln herum, einem Haufen Sand, in dem vom letzten Werktag noch die Schaufeln steckten, und dem Bottich mit gelöschtem Kalk. Sie hat die Abdeckung gelüftet und hineingeschaut, sie liebt das blendende Weiß ebenso sehr wie die teigige Zähigkeit der Masse. Als sie aufblickte und den Deckel wieder zurechtrücken wollte, sah sie den Engel ins neue Haus gehen. Sie sah ihn von hinten und nur einen Moment lang, wie er über die zukünftige Schwelle schritt. Obwohl die Mauern bei weitem nicht mannshoch sind, verschwand er hinter ihnen. Sie glaubt nicht wie ein Kind an Engel. Diese Gestalt jedoch nahm sie für wahr. Sie schloss die Augen und wünschte sich mit aller Kraft, dies möchte der Geist des neuen Hauses sein und auch der des neuen Kindes, das sie in sich wachsen fühlt. Sie kennt die Anzeichen für eine Schwangerschaft inzwischen. Zum Arzt zu gehen oder die Neuigkeit jemand anzuvertrauen scheint ihr nicht passend, solange sie nicht sicher ist.

Eben springt der Kater aus dem offenen Fenster und streicht ihr um die Beine. Mia möchte ihm etwas geben; sie steht auf, um Milch zu holen. Da sieht sie jemand den schmalen Weg zwischen den Gärten heraufkommen, erkennt sofort den Strohhut und die hagere Gestalt in dem schlabberigen weißen Leinenanzug.



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