Ich war Hitlers Schutzengel. Fiktionen by Dieter Kühn

Ich war Hitlers Schutzengel. Fiktionen by Dieter Kühn

Autor:Dieter Kühn [Kühn, Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104003023
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2015-07-25T16:00:00+00:00


ODER SOLLTE DAS ETWA FALSCH GEWESEN SEIN?! Historisch nachteilig? Ich fühle mich, ja, wie zerrissen. Muss wieder eins mit mir werden, eins und einig. Allmächtiger, setz ein Zeichen! Ich muss sicher sein, dass ich in Deinem Auftrag handelte, sonst bleibe ich in der Schwebe zwischen Himmel und Erde, in der Schwebe über dem Abgrund. Habe ich mich bewährt, habe ich versagt? Habe ich meinen Auftrag richtig oder falsch verstanden? Und falls Letzteres zutrifft – werde ich womöglich strafversetzt? Werde jemandem zugewiesen, der an einem Wochenendseminar für Engelkunde, sprich: Angelologie, teilgenommen hat und daraufhin den Schutzengel ungeniert auffordert, etwas gegen Rückenschmerzen zu tun? Hoho, ich würde diese elende Person dann aber eiskalt anhauchen, rote Blutkörperchen würden kristallin, die weißen erst recht! Wie aber müsste ich erst einmal reagieren, würde ich angefordert bei der Suche nach einem Parkplatz in einer überfüllten Innenstadt, würde vor Reiseantritt dazu aufgefordert, die Autobahn von Staus freizuhalten?

Ehe mir so was widerfährt, bunkere ich mich lieber ein! Nur bloß nicht im Bunker der SS-LAH, bei erneutem Foto- oder Vermessungstermin einschwebend – dort würde selbst ein Wesen wie ich von Albträumen geplagt: SS-Mannen stampfen in mörderischem Gleichschritt auf mich zu, versuchen mich mit schwarzen Riesenschilden zu erschlagen, rammen Schildspitzen in meine körperlose Präsenz, im Traum, im Traum, im Albtraum. Wenn schon Bunker, so wüsste ich bereits, wo und wie, da hat mir Zufall den Weg gewiesen: Eine Metalltür, nie beachtet, nie registriert, stand mal bei einer Kunstausstellung offen, und ich schwebte ein in den Tiefbunker unter dem Alexanderplatz, versetzte mich, fußhoch über der hinab geschrägten Rampe schwebend, in ein erstes, ein zweites, ein drittes Tiefgeschoss. Im untersten Tiefgeschoss würde ich mich niederlassen, in Büßerhaltung zusammengekauert auf einer der gereihten Kloschüsseln, bis – trotz aller Betonfilterung – erneut ein Ruf an mich erginge, meiner Wesenheit entsprechend. Und ich könnte mir selbst wieder zum Echo werden als Innere Stimme eines akzeptablen Schützlings. Wäre das, bliebe das denkbar?

Nein, ich warte nicht auf einen Respons, will mir weitere Enttäuschungen ersparen. Auch frühere Stoßgebete liefen ins Leere. Also letztlich doch auf sanktionierte Verfahren zurückgreifen und mich – diverse Bedenken überwindend – an Michael wenden? Und vom Castel Sant’ Archangelo kommt er wie gerufen zum Eingangs-Vestibül des entschwundenen Kopfbahnhofs?

Da muss ich gleich Vorbehalte anmelden! Michael wurde allzu oft herbeizitiert von ehemaligen Kirchenkreisen des Widerstands. Iterum rugit leo: der Heilige in seiner klar umrissenen Rolle eines Vorkämpfers gegen das Böse – er dürfte für meine Zwischenvaleurs kaum das rechte Verständnis aufbringen.

Mittlerweile weiß ich zur Genüge, was Resonanz in ihm findet, Reaktion bei ihm auslöst. Ein wenig salopp: Worauf er steht, worauf er schwört. Die Bußwallfahrt für Männer zur schmerzensreichen Muttergottes, Anno Domini 1934 – da wäre er am liebsten vorangeschritten mit gezücktem Schwert, schließlich war jene Wallfahrt irgendwie auch gegen Hitler gerichtet … »Christus, mein König, Dir allein schwör ich die Liebe, lilienrein bis in den Tod die Treue.« Hier dürfte Michael mit eingestimmt haben, gemeint war schließlich nicht Treue zu Hitler … Glaubensfahrten der katholischen Arbeiterbewegung, ebenfalls Anno 34 – da konnte man mit seinem



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