Ich lenke, also bin ich by Schächtele Kai

Ich lenke, also bin ich by Schächtele Kai

Autor:Schächtele, Kai [Kai, Schächtele,]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-04-26T16:00:00+00:00


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Berlin–Kopenhagen, Teil 2:

Die Gras only-ssee

Nach acht Tagen Fahrt erreichte ich Kopenhagen. Mit der Nummer 9955 fuhr ich über die imaginäre Ziellinie direkt neben dem Rathaus. Die Nummer stammt von einem Kasten am Radweg, der alle Radfahrer, die dort vorbeikommen, in roten Digitalziffern zählt. Ich war der 9955ste an diesem Tag und der 1819041ste in diesem Jahr. Allein dieser Kasten erzählt alles über die Fahrradkultur in Kopenhagen, was man wissen muss. Er wurde aufgestellt, um Radfahrern zu signalisieren: Hier werdet ihr nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernstgenommen. Als in Bremen eine ähnliche Idee umgesetzt wurde, mit der Begründung, die Zählstelle solle Menschen motivieren, aufs Rad umzusteigen, maulte so mancher darüber, wie sinnlos es doch sei, dafür Geld auszugeben.

In der dänischen Hauptstadt hingegen gibt es eigene Radspuren, die so breit sind, dass darauf locker Kleinwagen fahren könnten. Für Radfahrer ist eine eigene Verkehrsführung angelegt, mit separaten Ampeln und vom Autoverkehr abgekoppelten Wegen. Radfahrer sind hier in einer eigenen Welt unterwegs, die einem von Berlin aus gesehen so weit entfernt vorkommt wie die Erde vom Mond. Diese Welt ist aber nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde geschaffen von Menschen wie dem Kopenhagener Architekten Jan Gehl, nach dessen Maxime die Städte nicht für Autos da sein sollen, sondern für Menschen. Die Kopenhagener zeigen dem Rest der Welt, wo es langgeht mit der Verkehrskultur. Es sind so viele Fahrradfahrer unterwegs, dass sie in langen Zweierreihen vor roten Ampeln warten. Weil sie sich als Verkehrsteilnehmer ernst genommen fühlen, kommt kaum jemand auf die Idee, bei Rot über die Ampel zu fahren. Das mag auch daran liegen, dass man seine Füße beim Anhalten bequem auf eine etwa dreißig Zentimeter über dem Boden angebrachte Leiste auflegen kann, auf der steht: »Stell deinen Fuß hier ab – und danke dafür, dass du in der Stadt radelst.« Vielleicht aber auch daran, dass man in Dänemark 135 Euro zahlt, wenn man erwischt wird. Und wer abbiegen möchte, hebt den Arm, weil er sonst riskiert, vom Radverkehr dahinter über den Haufen gefahren zu werden. Es dauerte keine Stunde, bis ich mich auf dem Fahrrad genauso verhalte wie jeder andere hier.

Ich hielt an jeder roten Ampel, hob den Arm und wollte nie mehr an einem anderen Ort Rad fahren als hier. Es wundert mich jetzt auch nicht mehr, dass die glücklichsten Menschen in Dänemark leben. Ein Volk, das das Fahrrad auf eine solche Weise ehrt, beweist, dass es verstanden hat, dass Freiheit, die Lust an der Bewegung und der anbetungswürdige Anblick einer schönen Frau auf einem stilvollen Rad – und es stimmt, was die Leute sagen: selbst mit Fahrradhelm! – mehr wert sind als ein möglichst störungsfrei fließender Autoverkehr. Kopenhagen gilt als eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität weltweit und das liegt ganz gewiss auch daran, dass man dort so entspannt Rad fahren kann. Ach, wie schön wäre es, wenn sich das die deutschen Verkehrspolitiker hinter den Rückspiegel des Autos schreiben würden, mit dem sie abends nach Hause fahren.

Vor lauter Freude über die paradiesischen Zustände in Kopenhagen fuhr ich am Abend



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