Ich denke oft an Piroschka by Hugo Hartung

Ich denke oft an Piroschka by Hugo Hartung

Autor:Hugo Hartung [Hartung, Hugo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 3795195055
Herausgeber: Schneekluth
veröffentlicht: 1981-12-31T23:00:00+00:00


Das Hemd des Präsidenten

Das Lokal war hübsch. Die Wände waren mit hellem Holz getäfelt, und Weinkaraffen standen auf einem Tisch mit weißgescheuerter Platte. In den kleinen Fensternischen waren bunte Glasfenster mit Apostelgestalten. Durch ein blaues Petrusgewand fiel immer stärkeres Licht auf Gretas Haar, das davon einen bläulichen Schimmer bekam. »Die Sonne scheint!« sagte ich.

»Drin auch?« fragte sie und deutete auf mein Herz.

Ich nickte, weil ich unter dem Tisch ihren Fuß zu spüren meinte. Sanft erwiderte ich seine Liebkosung – bis Piroschka zu lächeln begann.

Da verhärtete sich wieder alles in mir.

Die beiden Mädchen saßen nebeneinander auf einer Wandbank und ich ihnen gegenüber auf einem breiten, bequemen Holzstuhl mit vertiefter Sitzfläche. Wenn ich mir heute die Gruppe vor Augen zu führen versuche, sehe ich sie, durch die Gegensätze dunkler und heller Schönheit bestimmt, als ein Bild so vollkommenen Liebreizes, daß ich immer noch meine längst angegrauten Haare raufen möchte. Eine Harmonie hätte zwischen uns dreien bestehen können, ein Fluidum wunderbarster Art, und ich habe mir alles selbst zerstört …

Wir hatten erlesen gegessen, Plattenseefisch – den köstlichen Fogasch in zerlassener Butter danach die beliebte landesübliche Maronispeise, und hatten Wein getrunken, der uns ein wenig schläfrig machte. Piroschka gähnte. »Komm«, sagte Greta zu ihr, »die frische Luft wird dir guttun!«

»Ich glaub’, ich laß eich allein promenieren und werde mir auf dem Sofa in Pension legen …«

»Aber nein«, sagte Greta, »wir müssen den schönen Seenachmittag zusammen verleben. Außerdem wollten wir doch vom Postamt aus heimtelefonieren, nicht wahr?«

»Igen«, antwortete Piroschka gehorsam.

Als wir aus der sanften Dämmerung der Weinstube hinaustraten, zwang uns das starke Licht, die Augen zu schließen. Es leuchtete nun wirklich von einem so tiefblauen Himmel, wie er auf der knalligen Postkarte und den Prospekten gemalt war. Ich nahm das Wetter zum Vorwand, um meinen Fotoapparat aus der Pension zu holen. Bei dem bevorstehenden Gespräch mit dem wütenden Stationschef in Hódmezövásárhelykutasipuszta wollte ich nun einmal nicht dabeisein. Ich war einfach zu feige.

Ich kramte auf Zimmer 12 a der Pension Márton meine ungefüge Kamera aus der Waschtischschublade, das stelzbeinige Stativ und die schweren Plattenkassetten. Auch das schwarze Tuch hatte ich in Kutasipuszta nicht vergessen.

Auf dem Tisch lag noch immer Gretas zauberhaftes Bild. Ich küßte es: die Schultern, den Brustansatz. Ich küßte die Schrift auf der Rückseite. Sie wurde davon ein wenig blasser, und ich schmeckte Tinte auf den Lippen. Dann tat ich das Foto in meine Brieftasche.

Ich mußte auf der vereinbarten Bank eine Weile warten, bis meine Mädchen vom Postamt zurückkehrten. Das mochte ein ebenso langes wie hartes Gespräch geworden sein. Aber die zwei kamen heiter zurück, hatten sich bei den Fingern gefaßt und schwatzten und kicherten wie Schulmädchen. Die eine war ja auch eins. Als sie mich sahen, winkten beide. »Nun?« rief ich ihnen entgegen.

»Alles in bester Ordnung«, antwortete Greta schon von weitem. »Der Papa ist goldig. Ich mußte ihm nur ausreden, daß du ein Verführer bist, Andreas. Als ich ihm alles erzählt hatte, hat er schrecklich gelacht …«

Nun würde mich also auch in Kutasipuszta keiner mehr ernst nehmen, und der Respekt vor dem ›Herrn Stúdent‹ war ein für allemal dahin.



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