Hirngespinste by Markus Orths

Hirngespinste by Markus Orths

Autor:Markus Orths [Orths, Markus]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Schöffling & Co. <Frankfurt, Main>
veröffentlicht: 2013-01-23T23:00:00+00:00


10

Die Lesung begann mit dreißigminütiger Verspätung, was, wie man sich denken kann, die Publikumslaune gründlich verhagelt hatte. Zumal ich weder wie angekündigt Plattner hieß, noch sinnlich-lyrische Gedichte präsentierte. Und man den Leuten nicht mehr rechtzeitig hatte Bescheid sagen können. Also, dass ich jetzt da saß. Und nicht dieser Plattner, der von der ZEIT als Begründer der transzendental-ethischen Psycho-Sinnlichkeit gefeiert wurde.

Ich setzte mich direkt auf meinen Stuhl, schaute ins Publikum, sechzig Leute! Eine gewisse Unruhe breitete sich aus, als V fünfundzwanzig Minuten über den Verlag sprach. Es folgte die Einführung des Buchhändlers. So eine Einführung seitens des Buchhändlers, will ich gleich sagen, ist das Wichtigste bei jeder Lesung. Die Einführung seitens des Buchhändlers entscheidet, wie der Abend verläuft. Die Einführung seitens des Buchhändlers ist alles. Ausschließlich die Einführung seitens des Buchhändlers ist schuld, wenn der Abend in die Binsen geht, was durchaus mal vorkommen kann. Also gut: Kurzenbergers Einführung? Er begrüßte das Publikum und dann mich mit den Worten, er sei froh, dass ich so kurzfristig zugesagt hätte, aus meinem Roman zu lesen.

»Eigentlich Erzählung«, sagte ich.

»… aus seiner Erzählung zu lesen …«

»… also längere Erzählung, kein Roman.«

»… aus seiner längeren Erzählung zu lesen, mit dem Titel: Die Schulgeschichte.«

»Schulgeschichten.«

»Entschuldigung. Die Schulgeschichten.«

»Nein. Nur Schulgeschichten.«

»… mit dem Titel Nur Schulgeschichten.«

»Nein. Ich meine: einfach nur Schulgeschichten. Ohne Die.«

»Mit dem Titel Schulgeschichten.«

Ich nickte, und Kurzenberger drückte sich ein Taschentuch vor die Stirn.

»Kranichs Debütroman … Debüterzählung … Also, die längere Debüterzählung von Martin Kranich erzählt sein Leben, also einen Ausschnitt aus seinem Leben, also aus Kranichs Leben, also als Lehrer, also keine Erfindung, also nur die Wahrheit, also autobiographisch quasi. Geboren wurde Kranich 1965.«

»1968«, sagte ich.

»1968. Und zwar in … das kann ich jetzt kaum lesen …«

»Quadrath-Ichendorf.«

»Quadrath-Ichendorf.«

»Da ist Podolski aufgewachsen.«

»Aha.«

»Der Fußballer.«

»Ich weiß. Könnte ich jetzt vielleicht weiter?«

»Entschuldigung«, sagte ich.

»Danke. Vor den Schulgeschichten hat Kranich noch überhaupt kein Buch veröffentlicht …« Kurzenberger stockte. Er dachte kurz nach. »Eigentlich logisch«, sagte er dann, »sonst wäre es ja kein Debütroman.«

»Erzählung«, sagte ich tonlos und blinzelte ins Publikum.

Die Leute lachten nicht.

Das wird nicht einfach, dachte ich.

Kurzenberger kapitulierte, wandte sich zum Publikum und sagte: »Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.«

Appläuschen.

Räuspern meinerseits.

Ich las die ersten zehn Zeilen.

Keine Reaktion.

Mein Gott, dachte ich.

Irgendwie musste ich das Eis brechen.

Und plötzlich erinnerte ich mich an einen Witz, der mir auf der letzten Lesereise spontan unterlaufen war und der damals für einen Riesenbrüller gesorgt hatte, sodass der Bann für den Abend gebrochen war. Ja, dachte ich, den spontanen Witz, den kann ich doch jetzt einfach hier wiederholen! Damals, in Wien, hatte ich einen Frosch im Hals gehabt, alles Räuspern half nichts, auch das Wassertrinken half nichts, es blieb mir nichts übrig, als kräftig zu husten und ins Mikrofon zu sagen: »Tut mir leid, ich hab nen Frosch im Hals.« Heute, im Kurzenberger Büchereck hatte ich zwar keinen Frosch im Hals, aber ich tat so, als hätte ich einen Frosch im Hals und hustete und räusperte mich und trank Wasser und sagte, wie damals, in Wien: »Tut mir leid, ich hab nen Frosch im Hals.« Und dann rückte ich mit



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