Heute will ich leben (German Edition) by Price Nora

Autor:Price, Nora [Price, Nora]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2014-02-09T23:00:00+00:00

Tag 8

Eine Woche in Twin Birch ist um. Vorbei.

Während ich schreibe, zirpen die Grillen ohrenbetäubend laut in den Bäumen. Die Sommer-Ochsenfrösche klingen wie hundert im Chor rülpsende Jungen. In meinem Bauch hallt der animalische Krawall ganz eigener Protestlaute wider. Sie stammen von dem Frühstück, das ich heute Morgen runtergewürgt habe, nachdem ich eine schlaflose Nacht lang mit den Nachwirkungen von Carolines Verhör zu kämpfen hatte – natürlich war es unmöglich gewesen, nach so einer Unterhaltung auch nur ein Auge zuzutun. Bislang war die Sitzordnung während der Mahlzeiten flexibel gewesen. Haley hatte sich hin und wieder zu Jane an den Tisch gesetzt und Caroline neben Victoria. Doch unsere Unterhaltung letzte Nacht hatte eine Grenze gezogen – in dem Moment, als Caroline sich abgewandt hatte, wusste ich, die Lager waren in Stein gemeißelt: Auf der einen Seite standen ich, Victoria und Haley, auf der anderen Brooke, Jane und Caroline. Von jetzt an gab es keine neutralen Parteien mehr.

Ein Problem war das eigentlich nur während des Kochunterrichts. Weil: Victoria und Haley waren Zimmergenossinnen, also schlossen sie sich automatisch zusammen. Blieben nur noch – du hast’s erraten – Caroline und ich, um in feindseligem Schweigen Zwetschgen zu zerkleinern und Basilikum in Streifen zu schneiden. So war das heute, und wenn nicht jemand stirbt oder verschwindet, sehe ich nicht, wie sich das je ändern soll.

Nach einem angenehmen Morgen, den wir damit verbracht hatten, Mücken in die Flucht zu schlagen und unsere Fingernägel im Garten in schmutzige Sicheln zu verwandeln, versammelten wir uns in der Küche, um den Nachtisch für den heutigen Abend vorzubereiten: eine Pflaumen-Galette.

»Eine Galette muss unebene Kanten haben«, leitete Devon uns an, während wir die Früchte aufschlitzten. »Sie muss nicht perfekt sein.«

Ich rollte eine Mandelkruste aus, während Caroline Pflaumen in Zucker warf und dabei so weit weg wie möglich von mir stand. In der letzten Woche hatte ich gelernt, dass Mädchen mit Essstörungen zu fanatischer Genauigkeit neigen. Beim Backen trifft das doppelt zu, denn anders als Kochen ist es eine präzise Wissenschaft. Mädchen, die in irgendeiner Form mit Essstörungen zu kämpfen haben, sind im Allgemeinen besonders gut bei Tätigkeiten, die Präzision erfordern. Was im einen Zusammenhang wie eine Verhaltensstörung wirken mag, wird im anderen zum Pluspunkt. Jedes Gramm Mehl muss genau portioniert und jeder Tropfen Vanilleextrakt genau geplant werden. In einem Vier-Sterne-Hotel würde Victoria eine hervorragende Konditorin abgeben. Sie kann aus vierzig Meter Entfernung rein nach Augenmaß den Unterschied zwischen fünfzig und achtzig Gramm bestimmen. Wann immer wir alleine, ohne Partner, arbeiteten, war mein Gebäck ziemlich armselig. Der gestrige Kurs hat fünf perfekte Zwiebelkuchen hervorgebracht und einen, der wie ein angekautes Frisbee aussah. Rate mal, welcher meiner war.

Wohin ich auch schaue, fast überall stoße ich auf Beweise, dass ich nicht hierhergehöre.

Im Spiegel sehe ich, dass ich dünn bin, aber nicht so schrecklich dünn wie die anderen Mädchen.

Im Wohnzimmer verdaue ich meine Mahlzeiten für gewöhnlich, ohne mich in eine Decke zu wickeln.

In der Küche brauche ich keine Stunde, um eine Tasse Mehl zu wiegen.

Als wir unsere Galettes nebeneinanderstellten, dachte ich darüber nach, was ich Alexandra über Caroline sagen sollte.

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