»Heute trifft es vielleicht dich« by Martin Specht

»Heute trifft es vielleicht dich« by Martin Specht

Autor:Martin Specht
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ch. Links
veröffentlicht: 2014-11-15T00:00:00+00:00


Das Mutterhaus – Teil 2

Der Neubeginn in Aubagne

Die Algerienfranzosen hatten sich lange dagegen gewehrt, aber seit dem Referendum vom 1. Juli 1962 stand unwiderruflich fest, dass Algerien unter einer selbst gewählten Regierung in die Unabhängigkeit entlassen würde. Der Exodus der Pieds-Noirs begann. Sie verließen ihre Farmen. Ihre Weinstöcke, ihre Haustiere und ihr Vieh, ihre Felder und die Bäume, die sie gepflanzt hatten, das alles verließen sie in der Gewissheit, es nie mehr wiederzusehen. Für eine Landbevölkerung, wie es die Mehrheit der in Algerien lebenden Pieds-Noirs war, muss die Trennung von Haus und Hof besonders schmerzhaft gewesen sein. Es waren sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Lebensgrundlage, die sie verließen.

Sidi Bel Abbès wurde zum Zielort dieser Flüchtlinge. Die Präsenz der Fremdenlegion dort versprach einen gewissen Schutz vor den befürchteten Racheakten der Algerier, die bislang unter der Unterdrückung des Kolonialsystems gelitten hatten. Die Fremdenlegionäre halfen den Pieds-Noirs dabei, ihre Farmen zu räumen, und stellten ihnen dazu bewaffnete Eskorten zur Seite. Obwohl den meisten klar war, dass sie keine Möglichkeit hatten, ihren gesamten Hausstand mit nach Frankreich zu nehmen, wollten sie trotzdem nichts zurücklassen.

Der Fremdenlegionär Günter Schnieder, der zu dieser Zeit in Sidi Bel Abbès stationiert war, erinnert sich an diese Hilfseinsätze. 'Ich hatte das Kommando über eine Ferme-Räumung [die Räumung einer Farm, Anmerkung des Autors]. Das Ganze hat etwa 14 Tage gedauert. Ich hatte ein Dutzend Legionäre und einen Lastwagen zur Verfügung. Der Colon, also der Bauer, ist immer mit uns zu seinem Gut gefahren. Die haben sich nicht mehr alleine dahin getraut. Ich habe meine Leute zum Aufpassen eingeteilt. Wir bekamen von dem Bauern jeden Tag einen großen Korb mit Nahrungsmitteln und etwas Geld. Das Geld habe ich unter den Leuten verteilt.' In einer Geste der Machtlosigkeit, die auch etwas Rührendes hatte, fuhren die Bauern ihre Traktoren, Anhänger und Pflüge nach Sidi Bel Abbès. Schon bald standen überall in den Straßen der Stadt, hintereinander aufgereiht, herrenlose Landmaschinen. Ein bizarrer und zugleich auch trauriger Anblick.

In der Maison Mère, dem Mutterhaus, bereiteten sich auch die Fremdenlegionäre auf den Abzug aus Algerien vor. Der Standort in Sidi Bel Abbès sollte vollständig aufgegeben werden. Die Zahl der dort stationierten Legionäre wurde Monat für Monat verringert, und ihre Hauptaufgabe bestand nur noch darin, die Räumung des Hauptquartiers vorzubereiten. Das Monument aux Morts, auf das Heinrich Neuenstein jahrelang vom Fenster seines Büros aus geblickt hatte, wurde abgebaut, zerlegt und in Kisten verpackt. Dabei zerbrachen die Platten aus schwarzem algerischen Onyx, die den Sockel des Monuments verkleideten. Später sollte der Sockel, beim Wiederaufbau des Monuments, mit hellem Marmor aus der französischen Provence ummantelt werden. Der Sarg General Rollets, der vor dem Monument aux Morts begraben war, wurde exhumiert, mit einem Konvoi nach Oran gebracht und von dort aus nach Frankreich verschifft. Nichts sollte in Algerien zurückbleiben. Die Camerone-Feier im April 1962 war die letzte auf algerischem Boden. Die Fremdenlegionäre veranstalteten im Schein brennender Fackeln eine düstere Zeremonie, bei der sie eine schwarze Fahne, die seit dem 19. Jahrhundert in Sidi Bel Abbès aufbewahrt wurde, verbrannten. Ein Offizier hatte



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