Herzenstimmen by Sendker Jan-Philipp

Herzenstimmen by Sendker Jan-Philipp

Autor:Sendker, Jan-Philipp [Sendker, Jan-Philipp]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-05-29T22:00:00+00:00


16

Als Nu Nu im Morgengrauen erwachte, hörte sie bereits jemanden mit den Töpfen hantieren. Es war noch fast dunkel, aber die Vögel zwitscherten bereits unüberhörbar. Sie drehte sich um, neben ihr schlief Ko Gyi. Kurz darauf vernahm sie die Mönche am Gartentor und fragte sich, warum sie nicht längst aufgehört hatten, bei ihnen um Gaben zu bitten, wo doch ohnehin nichts zu holen war. Nu Nu sah Thar Thar mit der großen Reisschale in den Händen die Treppe hinuntereilen. Hatte er gegeben? All die Monate? Wo mochte er den Reis nur herbekommen haben, wenn es doch schon bei ihnen kaum reichte? Sie war zu müde, um über diese Fragen lange nachzudenken, und schlief wieder ein.

Als sie wieder erwachte, war es hell, die Vögel waren verstummt. Sie stand auf, Ko Gyi schlief noch, neben dem Feuer standen Reis und ein lauwarmes Curry.

Von Thar Thar fehlte jede Spur. Erschrocken lief sie in den Hof und schaute im Hühnerstall nach. Die drei Hühner glotzten sie an, als sie ihren Kopf durch die Luke steckte.

Plötzlich klang die Stimme ihres Sohnes vom Hof des Nachbarn herüber. Nu Nu zwängte sich durch die Hecke und sah ihn im Schatten eines mächtigen Feigenbaums sitzen. Neben ihm lag ein mannshoher Stapel getrockneter Bambusblätter und Gräser, vor ihm eine geflochtene Matte, an der Thar Thar arbeitete.

»Was machst du da?«, fragte sie überrascht.

»Ich helfe U Zhaw«, erwiderte er halblaut. Als wäre es ihm unangenehm.

»Dein Sohn ist der begabteste Flechter, den ich je gesehen habe«, rief die Frau des Nachbarn und kam hinter dem Haus hervor. »Und der fleißigste«, ergänzte sie und warf dabei Nu Nu einen Blick zu, der besagte: ganz und gar erstaunlich bei der Mutter. »Für eine Dachhälfte braucht er nicht einmal drei Tage.«

Nu Nu beobachtete ihren Sohn; erst jetzt fiel ihr auf, wie geschickt seine Finger sich bewegten, wie flink sie die großen Blätter und Gräserbüschel miteinander verwoben. Sie sah das neue Dach der Nachbarn und eine gerade fertiggestellte Hälfte, die an einem Baum lehnte.

»Euer Haus sieht gut aus«, sagte sie misstrauisch und deutete auf Thar Thars Arbeit. »Für wen ist die?«

»Die verkaufen wir.«

»Verkaufen? An wen?

»Wer es braucht.«

»Für wie viel?«

»Zweihundert Kyat.«

»Wie viel bekommt mein Sohn?«

»Zwanzig. Er arbeitet das Geld ab, das wir euch geliehen haben.«

»Zwanzig Kyat?« Nu Nu fiel es schwer, ihre Empörung zu verbergen. Sie suchte den Blick Thar Thars, der aber hielt die Augen gesenkt.

»Wie lange noch?«, wollte sie wissen.

Die Frau rechnete. »Wenn er in dem Tempo weitermacht, höchstens noch vier Wochen.«

Am Abend fielen ihr die schwieligen Hände ihres Sohnes auf. Die Nägel waren eingerissen, die Fingerkuppen gerötet und an manchen Stellen blutig. Sie hockten mit Ko Gyi am Feuer, Nu Nu wollte vieles wissen, doch Thar Thar mochte sich nicht erklären. Seit wann er bei den Nachbarn arbeitete? Wann genau das Geld, das Maung Sein als Holzfäller gespart hatte, zu Ende gegangen war? Ob sie noch woanders Schulden hatten? Statt zu antworten, stocherte er mit einem Stock in der Glut herum.

Nu Nu fragte sich, wovon sie in Zukunft leben sollten. Selbst wenn sie alle



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