Herrschaft der Dinge by Trentmann Frank

Herrschaft der Dinge by Trentmann Frank

Autor:Trentmann, Frank
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: DVA
veröffentlicht: 2017-04-21T04:59:44+00:00


Sparen Dänen und Italiener nun zu wenig oder Deutsche und Belgier zu viel? Eine Antwort darauf findet man nur, wenn man das Sparen vor dem Hintergrund von Kredit, Einkommen und Vermögen betrachtet. Für Familien, die über keinerlei Sicherheiten verfügen, mag es verrückt sein, nichts beiseitezulegen, während es für andere, die eine Hypothek mit niedrigem Zinssatz und einen Rentenfonds haben, weit weniger unvorsichtig ist. Für Familien mit wachsenden Einkommen und Immobilienwerten sind steigende Kreditkartenabrechnungen vernachlässigbar. In Großbritannien beispielsweise sank die Bruttosparquote zwischen 1992 und 2007 von 11 auf 2 Prozent, während der »mittlere« ungesicherte Konsumentenkredit auf 10 000 Pfund gestiegen war, als 2009 die Finanz- und Wirtschaftskrise spürbar wurde (das heißt, für jeden Haushalt, der mehr als 10 000 Pfund schuldete, gab es einen, der mit um dieselbe Summe weniger als 10 000 Pfund in der Kreide stand). Viele Hypotheken lagen bei 100 000 Pfund. Dies sind große Zahlen, aber sie werden relativiert, wenn man das durchschnittliche Haus- und Pensionsvermögen in Betracht zieht, das immerhin mehr als 200 000 Pfund beträgt.[52]

Ökonomen führen in der Regel zwei Modelle an, um die Entwicklung des Sparens zu erklären: die Lebenszyklus- und die permanente Einkommenshypothese. Beide Modelle wurden in den 1950er Jahren entworfen, das Erstere von Franco Modigliani, das Letztere von Milton Friedman.[53] Nach Keynes’ Ansicht war das Hauptmotiv des Sparens ein fast irrationaler Stolz: der Nachwelt ein Vermächtnis zu hinterlassen. Die zusammengetragenen Daten zeigten jedoch, dass dies nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Die Menschen würden für ihre eigene Zukunft sparen, nicht für die ihrer Nachkommen, wandte Modigliani ein. Sie würden ihr Konsumverhalten im Lauf der Zeit ändern, um das Beste aus ihrem Leben zu machen (um, wie es die Ökonomen ausdrücken, eine stabile Nutzenfunktion zu maximieren): Sie würden sparen, wenn sie jung seien und wenig besäßen, in den Jahren ihres besten Einkommens ein Vermögen aufbauen und dann im Alter »entsparen« und Vermögenswerte verkaufen. Friedman hob in ähnlicher Weise hervor, dass die Menschen langfristig dächten. Wie viel sie konsumierten, hänge nicht vom gegenwärtig frei verfügbaren Einkommen ab, sondern davon, wie viel sie in Zukunft zu verdienen erwarteten.

Beide Modelle setzten voraus, dass die Menschen in der Lage waren, Vermögen aufzubauen, und in Bezug aufs Sparen, Leihen und Ausgeben rationale, langfristige Entscheidungen trafen. Das Lebenszyklusmodell hätte für frühere Generationen, die in einer finanziellen Drehtür feststeckten und von der Hand in den Mund lebten, wenig Sinn gemacht. Seit den 1970er Jahren sind einige Einwände gegen diese Hypothese erhoben worden, etwa, dass das Vermächtnismotiv nicht ganz vernachlässigt werden dürfe.[54] Gleiches galt für das Vorsorgemotiv. In Deutschland sparten alte Menschen weiter wesentlich mehr, als nach dem Lebenszyklusmodell zu erwarten war, während amerikanische Arbeiter erstaunlich wenig für den Ruhestand sparten.[55] Die permanente Einkommenshypothese dagegen traf für die langfristige Perspektive im großen Ganzen zu, hatte aber über kurzfristige Fluktuationen des Konsums wenig zu sagen. Unterschiede zwischen einzelnen Ländern stellten ein weiteres Problem dar. Die Lebenszyklushypothese erklärte den Zusammenhang zwischen Wachstum und Sparen: Ausgehend von der Annahme, dass der Konsum nicht vom gegenwärtigen Einkommen, sondern vom Lebenseinkommen abhängt, wird in Wachstumsphasen, in denen die jungen Leute wohlhabender werden als ihre Eltern, der Sparanteil steigen.



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