Herr Bofrost, der Apotheker und ich by Sabine Neuffer

Herr Bofrost, der Apotheker und ich by Sabine Neuffer

Autor:Sabine Neuffer [Neuffer, Sabine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783499242106
Goodreads: 6381766
Herausgeber: Rowohlt Taschenbuch Verl.
veröffentlicht: 2005-12-31T23:00:00+00:00


* * *

Am nächsten Morgen wachten wir spät auf. Natürlich hatten wir die halbe Nacht gequatscht und mal wieder zu viel getrunken. Blass und zerzaust tappten wir in unseren ausgeleierten Schlaf-T-Shirts in die Küche, kochten Kaffee und fielen jede über eine Dose Heringsfilets her. Mit angezogenen Beinen hockten wir auf den Küchenstühlen und aßen mit den Fingern.

Die Küche war warm und sonnig. Durch das geöffnete Fenster drang von fern der Straßenlärm, irgendwo läuteten Kirchenglocken. Dann wurde es still. Ein Motorrad heulte auf, und dann hörte man Musik aus einem Fenster dudeln. Großstadtsonntagmorgen.

Es klingelte. Ich zuckte zusammen. Laura blieb völlig ruhig. »Ach Gott, das ist Frau Obranski aus dem ersten Stock. Die klingelt sonntags immer um diese Zeit und bringt mir das Anzeigenblatt mit rauf. Geh du. Sie will nur tratschen, dazu hab ich jetzt echt keinen Nerv.«

Also erhob ich mich mühsam – mein rechter Fuß war eingeschlafen – und humpelte in den Flur, um Frau Obranski das blöde Anzeigenblatt abzunehmen. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich die Tür öffnete. Vor mir stand – na ja, jedenfalls nicht Frau Obranski. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Gast war. Am liebsten hätte ich die Tür sofort wieder zugeknallt. Ungekämmt, ungewaschen, barfuß und verkatert unversehens einer umwerfenden, fremden Schönen gegenüberzustehen – das war genauso schlimm wie diese Träume, in denen ich nackt auf dem Hamelner Marktplatz stand. Schlimmer noch, denn vor dieser Frau schämte ich mich viel mehr als vor Hamelner Fußgängern: Sie strotzte nur so vor Eleganz und Schick. Und das, obwohl sie nur Jeans und einen schlichten, roséfarbenen Seidenpulli trug. Ihr Haar, schwarz, voll, glänzend, fiel in großzügigen Locken auf ihre Schultern. Ihr Lächeln war hinreißend. Das war das Ätzendste – diese Ausstrahlung. Lässig, souverän, ein wenig selbstironisch. Eine Lady!

Ich fühlte mich wie Klein Doof Stand da auf einem Bein, rieb den rechten Fuß am linken Unterschenkel, starrte mit offenem Mund und strahlte mit Sicherheit an Debilität grenzende Begriffsstutzigkeit aus.

»Entschuldigen Sie, dass ich hier so unangemeldet hereinschneie. Ich wollte eigentlich zu Frau Kast, ist sie da?«

Ich nickte. Und blöd wie ich war, trat ich zur Seite. »Kommen Sie rein«, sagte ich und zeigte auf die Küchentür. Sie ging zögernd hinein, ich tappte hinterher. Lauras Gesichtszüge gefroren, als sie uns sah. Unwillkürlich zog sie ihr T-Shirt über die Knie, fuhr sich mit der Hand ins Haar, das ihr Gesicht wie eine rote Wolke umstand. »Ach du Scheiße«, entfuhr es ihr.

»Es tut mir Leid, dass ich Sie so überrasche«, sagte die Fremde verlegen. »Vielleicht hätte ich doch besser anrufen sollen.«

»Nein, nein, das ist schon okay.« Laura klang atemlos. »Entschuldigen Sie, wie es hier aussieht. Vielleicht sollten wir lieber ins Wohnzimmer gehen.«

»Wenn Sie möchten. Aber ich finde es hier ganz gemütlich. Küchen haben so was, da redet es sich oft leichter«, sagte die Schöne.

»Ja, ist ja auch egal«, sagte Laura flach. »Bleiben wir hier. Setzen Sie sich.« Sie erhob sich steifbeinig, um die leeren Fischdosen in den Müll zu befördern.

»Soll ich lieber gehen?«, fragte ich. Ich hätte mich liebend gern verpieselt. Irgendetwas lag hier in der Luft, und ich hatte keine Ahnung, ob Laura mich brauchte oder meilenweit weg wünschte.



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