Heimaterde by Vogelsang Lucas

Heimaterde by Vogelsang Lucas

Autor:Vogelsang, Lucas [Vogelsang, Lucas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2017-02-16T23:00:00+00:00


In Stein gemeißelt

Essen

Heute ist Muttern gestorben. Vielleicht auch gestern, wir wissen es nicht.

Ich erfahre es von Lelas Sohn, an einem Sommermorgen vor der Bäckerei. Mama, sagt er, ist in die Türkei gegangen. Oma vergraben. Sie soll gestürzt sein, einfach umgefallen. Oma hat jetzt keine Schmerzen mehr. Sie ist bei Gott, im Glücksland. Sagt er, sechs Jahre alt, im Spiel zwischen den Tischen der Erwachsenen.

Lelas Mutter ist gestorben, in ihrem Haus in Antalya. Im Urlaub in der Heimat. Dort in der Nacht auf die Fliesen gefallen, mit dem Gesicht voran, der Aufschlag so laut, dass es selbst Vattern hören konnte. Und der hört sonst nicht mehr viel. Er hat sie gefunden, 50 Jahre nach der Hochzeit. Fast auf den Tag genau.

Lela hat einen Anruf bekommen und ist sofort geflogen. Es musste schnell gehen, wegen der Hitze und der Traditionen. Damit hatte die Trauerzeit begonnen. 40 Tage und 40 Nächte.

Lela ist wochenlang fort, nicht zu sehen an der Ecke. Drüben, sagen die Frauen in der Bäckerei, ist jetzt viel zu tun. Die Tage nach dem Begräbnis sind die wichtigsten, für den Toten, für die Familie.

Sie vergehen.

Als Lela zurückkommt, hat die Trauer sie grau werden lassen. Auch das ist Tradition. In der Trauerzeit, sagt Lela, vergisst du die Eitelkeit. Da tanzt du nicht und spielst keine Musik. Hörst auf, dir die Haare zu färben und Make-up zu tragen. Lela schaut mich an, in den Augen die Anstrengungen ihres Abschieds.

Sie ist im Schmerz gealtert. Hat sich drüben um alles gekümmert, war bei der Balsamierung dabei und hat die Grabstelle ausgesucht. Sie war in der Moschee und hat den Nachlass sortiert. Ihre Mutter liegt nun in der Erde, die sie sich gewünscht hatte. Und wir sitzen vor der Bäckerei und sprechen über den Tod und den Glauben. Über die Muslime und ihre Rituale.

Lela raucht, ein bisschen mehr als sonst, und findet ihr Lächeln erst, als sie von der letzten Begegnung mit ihrer Mutter erzählt, der Leichnam im Waschraum, die Augen bereits geschlossen. Da hat sie ihr erst die Hände geküsst, dann die Stirn, und als es der Küsse genug waren, sah sie die Freudentränen auf Mutterns Wangen. Richtige Tränen, sagt Lela, sie liefen ihr aus den Augenwinkeln über das Gesicht. Ihr Mund war geschlossen, auf den Lippen aber ein Lächeln, ich schwöre es dir. Ganz friedlich, ganz glücklich. Und jünger war sie, jünger als ich. Im Türkischen gibt es ein Wort dafür. Nur, das Licht. Hell wie ein Engel. Der Tod hatte sie nicht aufgewühlt. Sie wusste ja, dass er kommt.

Dann begannen die Frauen im Waschraum die Mutter zu reinigen, sie mit Rosenwasser zu waschen. Die Frauen, sagt Lela, haben ihr Watte auf den Körper gelegt und sie mit Henna geschmückt. Ihre Stirn und ihre Hände bemalt, in schwungvollen, lebendigen Mustern. Am Ende haben die Frauen Gewürze gestreut und den Körper in Leinen gehüllt. Weiße Tücher, fest um den Körper geschlungen. Das ist Pflicht, drei bei den Männern, fünf für die Frauen. Sie sind die Tracht für den weiteren Weg.

Die Beerdigung fand am nächsten Tag statt, 24 Stunden nachdem Lela in der Türkei angekommen war.



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