Gondwana (German Edition) by Urban Simon

Autor:Urban, Simon [Urban, Simon]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Schöffling & Co.
veröffentlicht: 2014-03-31T22:00:00+00:00

IV

Ich bin im Himmel. Der Himmel ist oben in künstlich leuchtendem Babyblau gehalten, das nach unten heller wird, fast weiß. Das Weiß geht in eine bucklige Wolkenlandschaft über, die sich bis zum Horizont aufbläht. Ich stelle fest: Der Himmel sieht aus, wie ich ihn mir immer gedacht habe. Ich stelle fest: Der Himmel ist auch genauso, wie ich ihn mir immer gedacht habe. Ganz hübsch, aber stinklangweilig.

Ein Glück, dass ich mich gerade im freien Fall befinde. Auf dem besten Weg bin, diese beschissene Einöde für immer zu verlassen. Dass ich mit dem Hintern voran in die Tiefe rausche, genau in diesem Moment in die Wolkendecke einschlage, eine Sekunde lang tatsächlich glaube, in ein Glas heiße Honigmilch gefallen zu sein, so grellweiß-warm wird plötzlich die ganze Geschichte, aber die Milch-und-Honig-Theorie ist unhaltbar: Meine Beine strampeln ins Leere, blendendes Licht trifft sein Ziel, mein Kopf ist eine depressive, hochschwangere Seekuh, die gerade von einer üppigen Betäubungsgewehrsalve getroffen wurde. Platon, denkt es in diesem Kopf, du halluzinierst so einen Stuss, demnach wird es Zeit, dass du endlich SIEHST, was Sache ist. Nimm alle Kraft zusammen, stemm dich gegen die schaufelradbaggerschwere Müdigkeit und sichere dir den heutigen Weltmeistertitel im Augensynchronöffnen: kardinalsroter Teppich, antike Möbel, Francis’ Gästezimmer. Sicherheit, Schweiß, Sonne, Südstaatenatmosphäre, Siegesgewissheit. Ein typischer S-Morgen. Der Handy-Wecker springt an und klingelt erbarmungslos. Ich würge das Ding genauso erbarmungslos ab.

Eine neue Nachricht. Ahorn! Was ist da los? Sind Sie in Ordnung? G.

Mir fällt was ein.

Ich hole den Schlüssel vom Schrank, schließe den Koffer auf, krame die Protokollmappe aus dem Koffer und sehe: kein Haar mehr zu finden. Da war also eindeutig irgendjemand dran. Ich öffne den doppelten Boden und nehme den Bericht heraus. Das Haar klemmt noch zwischen den Seiten. Sämtliche Munition ist noch vorhanden. Die alten Tricks sind die besten.

Als ich die Treppe runterkomme, sitzt Jane in einem weißen Kleid auf dem Sofa, bemerkt mich gar nicht, sondern liest mit dem gleichen Konzentrationsgesicht, das sie beim Pinkeln aufsetzt, in einer Better Times. Ich bleibe stehen und kann nicht wegsehen. Ich denke nach und komme trotzdem nicht darauf, was sie hier macht. Ich zwinkere. Mehrmals. Sie besteht auf ihrer Anwesenheit. Ich verharre, und irgendwann entdeckt sie mich.

»Überraschung.« Jane grinst.

»Geglückt.« Ich gehe die letzten Treppenstufen runter.

»Picknick?«

Ich muss lachen. »Gut. Picknick.«

»Schön. Francis meinte, für mich hättest du bestimmt Zeit.«

»Wenn Francis das sagt.«

»Es gibt übrigens nur einen Francis auf Gondwana. Falls du dich fragst, wie ich dich gefunden habe.«

»Ich frage mich momentan ganz andere Dinge.«

»Aha. Kannst du reiten?«

»Klar«, sage ich, obwohl mein letzter Ausflug auf einem Pferd sehr lange zurückliegt. »Ich reite wie der Teufel.«

Jane steht auf, faltet die Zeitung zusammen, sieht mich mit dem gleichen Konzentrationsgesicht an, das sie beim Pinkeln und beim Zeitungslesen aufsetzt und sagt: »Platon Ahorn, ich will, dass du Folgendes weißt: Normalerweise erzähle ich fremden Männern nicht beim zweiten Treffen meine Familiengeschichte, normalerweise lade ich fremde Männer nicht spontan zum Picknick ein und normalerweise frage ich auch nicht, ob fremde Männer reiten können.«

»Bin ich dir so fremd?«

Ȇberhaupt nicht. Und genau das macht mich misstrauisch, wenn du es unbedingt wissen willst.

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