Gewitter über Pluto by Heinrich Steinfest

Gewitter über Pluto by Heinrich Steinfest

Autor:Heinrich Steinfest
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492958011
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-11-26T16:00:00+00:00


Abendwind

Und drinnen im Saal

Kein Herz, das pocht.

Nun, das war vielleicht ein wenig zu sinnbezogen, um einen echten Haiku abzugeben, aber wie gesagt, hier fand ja eine gegenseitige Milderung der Pole statt.

Nachdem sich magische Momente etwa so schwer wiederholen lassen wie Wunder und schon gar nicht an ein und demselben Abend, gab Mai Hillsand durch eine Geste zu verstehen, daß eigentlich alles gesagt und alles gesungen war, was zu sagen und zu singen war, und somit der Rest der Vorstellung bloß eine Konvention erfülle, welche ganz simpel darin bestehe, daß Konzerte über mehr als nur ein Lied im Programm verfügten. Darum sang die Hillsand also weitere Lieder, Bekanntes und Unbekanntes, war konzentriert und bewegend, versuchte jedoch in keiner Sekunde an den Beginn anzuknüpfen. Der Beginn stand für sich und würde jedermann, der kein Herz aus Stein besaß, für immer in Erinnerung bleiben.

Mai Hillsand gewährte eine dreiviertel Stunde, sodann verbeugte sie sich unter dem demütigen Applaus des Publikums. Es war die einzige Verbeugung des Abends, und darum mußte jedem einsichtig sein, daß hier das Ende war und nichts nachkam. Der Kardinal erhob sich und ließ sich trotz seiner deutlichen Gebrechlichkeit auf die Bühne helfen, bevor noch Mai Hillsand nach unten kommen konnte. Vollkommen klar, daß der Kardinal lieber im Himmel weilte als auf Erden. Er umfaßte mit seinen ausgebreiteten Händen die Unterarme der Sängerin und hielt sie so fest, als sei es ausgerechnet an ihm, dem buckligen Alten, dieser großgewachsenen Yves-Saint-Laurent-Frau als Stütze zu dienen. Aber so unsinnig das war, ließ es sich Hillsand gerne gefallen.

Die Ovation, die nun heftiger und befreiter als zuvor aufbrandete, galt gewissermaßen der Vermählung von Kunst und Kirche. Und es war jetzt der Kardinal, der mit einem kurzen, ernsten Blick zur Mäßigung mahnte.

Hernach war alles beim alten: Gesellschaftstheater. Während sich Hillsand und Seine Eminenz in einen Extraraum zurückzogen, durfte sich das Publikum am Büffet laben. Die Kulturmenschen fielen augenblicklich in einen steinzeitlichen Zustand zurück und waren damit beschäftigt, das beste Brötchen zu erwischen, auch wenn hier alle Brötchen so ziemlich gleich waren.

»Gehen Sie gar nicht zu Ihrer Frau?« fragte Stirling Rorschach.

»Ich störe nicht so gerne«, antwortete der Ehemann, »wenn Mai mit der Amtskirche flirtet.«

»Flirtet?«

»Theologische Gespräche sind stets erotisch geladen«, behauptete Rorschach. »Die ganze Kirche ist erotisch. Sie würde sich sonst gar nicht halten. Sicher nicht dank der Dinge, die sie tut. Und noch weniger wegen der Dinge, die sie nicht tut. Die Kirche – Sie erlauben, daß ich das so sage – ist wie eine Person, die ein Gefühl der Geilheit hervorruft, gleich, wie dumm oder häßlich oder hundsgemein sie auch ist, die Person.«

»Na vielleicht«, spielte Lorenz mit, »ist es die Häßlichkeit und Dummheit, die uns anspricht. Die uns geil macht. Vor allem das Hundsgemeine.«

»Da könnten sie jetzt wirklich recht haben«, meinte Rorschach, wobei er auf diese verkniffene Richard-Burton-Art lächelte. Mit einer ruhigen Bewegung holte er zwei Gläser vom dargebotenen Tablett, die er Stirling und Mohn reichte. Dann eins für sich.

Die drei Männer stießen miteinander an. Der helle Klang der Kollision stieg hoch und höher, um schließlich von einem Fresko abzuprallen.



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