Gebrauchsanweisung für England by Ohff Heinz

Gebrauchsanweisung für England by Ohff Heinz

Autor:Ohff, Heinz [Ohff, Heinz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492972130
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-05-19T16:00:00+00:00


Die kleinen Zu- und Abneigungen

Mitten im Gewühl, im hustle and bustle, des kleinen Badeortes im Juli, stieß ich auf das Kind. Es weinte erbärmlich. Die Menschen, mit und ohne Kinder, schoben ungerührt vorbei. Niemand kümmerte sich um das Mädchen, das nicht älter als fünf Jahre sein konnte. Man sollte, dachte ich, in England nie im Juli oder August verreisen. Die einzelnen Grafschaften haben nicht, wie bei uns, gleitende Ferienzeiten. Im Juli und August machen alle Schulen, Colleges, Universitäten Ferien, da sind plötzlich die entlegensten Küstenstädtchen überlaufen und spielen Badeort.

Ich beugte mich zu dem weinenden Kind herab und fragte: Now, what’s the matter, dear?

Es antwortete: »Ich habe meine Mami verloren!«, auf deutsch, mit trotz heftigen Schluchzens unverkennbarem Hamburger Akzent.

»Na, dann müssen wir sie eben suchen«, meinte ich und nahm die Kleine bei der Hand. Sie faßte rasch Vertrauen und plapperte, schon so gut wie getröstet, munter drauflos, gar nicht erstaunt, daß ich sie ohne weiteres verstand und sie mich.

Es dauerte nicht lange, da tauchte eine aufgeregte junge Frau auf, verzweifelt in der Menge suchend. Sie stürzte, als sie das Kind an meiner Hand bemerkte, auf uns zu und schien enttäuscht, daß das kleine Mädchen sie keineswegs überschwenglich begrüßte; es hatte sich bereits an mich gewöhnt.

Ich stellte mich vor, sie bedankte sich, das Kind ließ meine Hand nicht los.

»Ich habe nur mal versucht zu telefonieren«, erklärte mir die Dame aus Hamburg, »und Isabell läuft immer gleich weg. Ihr Vater wartet zu Hause auf Nachricht, wir haben Punkt zwölf Uhr abgemacht …«

Obwohl um zwölf Uhr mittags in England keine Kirchenglocken läuten – einzige Ausnahme: die von St. Petroc’s in Bodmin –, mußte es gerade gegen zwölf Uhr sein. Ein Blick auf meine Taschenuhr bestätigte es mir.

»Es ist zwölf«, sagte ich, »aber Sie vergessen die eine Stunde Zeitunterschied. Ihr Herr Gemahl wird schon ungeduldig sein. Drüben ist es bereits ein Uhr!«

»Um Himmels willen!« Die Mutter war ehrlich entsetzt. »Wo ist denn nur eine Post? Ich habe hier überall eine Post gesucht, konnte aber keine finden.«

»Was wollen Sie auf der Post, gnädige Frau?« fragte ich, zugegeben, etwas arrogant, zurück.

»Na, telefonieren!« kam die – von mir erwartete – Antwort.

Meine Überlegenheit wuchs. »In Großbritannien hat das Telefon nichts mit der Post zu tun.« Telekom war die erste private Gesellschaft, die seit einigen Jahren als AG funktioniert, ist aber heute nur eine von vielen konkurrierenden Telefongesellschaften. Aber es gibt doch noch die schönen alten roten Telefonzellen, auch wenn viele dem häßlichen Design gelber Kunststoffzellen weichen mußten. »Eine Zelle finden Sie an der nächsten Straßenecke, wenige Schritte die High Street hinauf, immer noch altmodisch rotglänzend.«

Die Dame bedankte sich, erhielt aber, ehe ich sie weiterziehen ließ, einen weiteren Ratschlag mit auf den Weg.

»Die Zellen haben übrigens Nummern. Sie sind deutlich sichtbar angebracht. In jeder Zelle können Sie sich anrufen lassen. Geben Sie Ihrem Herrn Gemahl die Nummer und machen Sie eine Zeit ab, zu der er Sie anläutet, möglichst spät am Abend, wenn das Fernsehen angefangen hat und wahrscheinlich kein anderer dort Anrufe erwartet. Aber kalkulieren Sie den Zeitunterschied ein,



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