Fürchtet euch nicht by Sven Petry

Fürchtet euch nicht by Sven Petry

Autor:Sven Petry [Petry, Sven]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2017-03-18T16:00:00+00:00


Wenn aber die Hoffnung im Herzen zu schwach ist, hält man die

Ratlosigkeit für schlimmer als die eigentliche Ursache der Plage.

Weisheit 17,13

Hoffnung

Ein Blick auf das alte, in Teilen bereits ehemals christliche Abendland gibt zum Jahreswechsel 2016/2017 allerlei Anlass zu Sorgen. Menschen haben Angst: vor den tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen von außen und immer öfter auch voreinander. Ein Jahrhundert nach den verheerenden Grabenkämpfen im Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs scheint sich eine Starre in den Köpfen auszubreiten. Die Polarisierung zwischen »weiter so« und »alles muss anders werden« nimmt zu. Die Polarisierung zwischen Stadt und Land, Verlierern und Gewinnern der Globalisierung, Armen und Reichen, den angeblichen oder tatsächlichen Eliten und dem sprichwörtlichen »kleinen Mann«, die Liste ließe sich fortsetzen. Sorgen, Frust und Zorn wandeln sich in Wut, und das Misstrauen wächst: mit Blick auf die Zukunft, gegenüber dem guten Willen der anderen, gegenüber den Grundlagen des eigenen Selbstverständnisses. Wenn ausgerechnet in jenen Gesellschaften, die sich noch vor einem guten Vierteljahrhundert vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts programmatisch und selbstbewusst als die freie Welt bezeichneten, der Ruf nach dem (Wieder-)Aufbau und Ausbau von Grenzen, von physischen, kulturellen und wirtschaftlichen, laut wird, dann ist das bei aller martialischen Rhetorik im Kern kein Zeichen von Selbstbewusstsein und Stärke, sondern eher ein Zeichen von Verunsicherung und mangelndem Selbstvertrauen.

Im Ost-West-Konflikt konnte die Freiheit als gesellschaftliches Konzept relativ leicht überzeugen, weil die sozialistische Planwirtschaft den verschiedenen Ausprägungen freier Marktwirtschaft in Sachen Produktivität und Innovationskraft offensichtlich unterlegen war. Darum war Freiheit noch vor einem Vierteljahrhundert weitgehend als Grundbedingung für Wachstum und Wohlstand akzeptiert, und zwar in Form einer individuelle Grundfreiheiten garantierenden freiheitlichen Demokratie mit freiem Markt. Dagegen ist heute ausgerechnet das immer noch von einer sich »kommunistisch« nennenden Partei beherrschte China geradezu ein Paradebeispiel für wirtschaftliches Wachstum und steigenden Wohlstand in einer Diktatur. Unbenommen, dass dieser Wohlstand an Hunderten Millionen Menschen weiterhin vorbeigeht. Unbestritten, dass die Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken zum Himmel schreien. In Kosten-Nutzen-Abwägungen zieht die Freiheit, insbesondere die Freiheit anderer, oft den Kürzeren. Sie wird zum Gegenstand des Feilschens – und damit ihres letztlich unbezahlbaren ideellen Wertes beraubt. Am Ende ist es dann nur konsequent, wenn Menschen, denen seit Jahrzehnten die Wichtigkeit von Kosten-Nutzen-Rechnungen gepredigt wurde, auch die Freiheit diesem Denken unterwerfen. Das im Ost-West-Konflikt erfolgreiche Prinzip »Wandel durch Annäherung«, das im Umgang mit Diktaturen auch heute noch gerne bemüht wird, funktioniert dort, wo Freiheitsrechte politischen und wirtschaftlichen Erfordernissen unterworfen werden, wahrscheinlich auch in der umgekehrten, nicht erwünschten Richtung.

In den freiheitlichen Gesellschaften des Westens hat das Vertrauen in die Überzeugungs- und Durchsetzungskraft der Freiheit als Ordnungsprinzip Schaden genommen. Wir befinden uns in einer Art Vertrauens-, Selbstvertrauens- und Sinnkrise. Populistische Angebote zur Krisenbewältigung betonen entsprechend gerne die Notwendigkeit der Rückgewinnung des eigenen nationalen Selbstvertrauens durch Demonstrationen der Stärke, seien es Donald Trumps Versprechen, Amerika wieder großartig zu machen (als ob es dort nicht auch heute bei allen Problemen viel Großartiges gäbe), oder Björn Höckes Suche nach der Wiedergewinnung deutscher Männlichkeit (als könnten Männer neben unabhängigen und gleichberechtigten Frauen keine Männer sein). Aber auch das Vertrauen in den freiheitlichen Staat hat Schaden genommen.



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