Über die Freiheit by John Stuart Mill

Über die Freiheit by John Stuart Mill

Autor:John Stuart Mill [Mill, John Stuart]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Justus
veröffentlicht: 2019-07-16T22:00:00+00:00


4. Kapitel: Die Grenzen der Autorität der Gesellschaft über den Einzelnen

Was ist nun die richtige Grenze für die Herrschaft des Individuums über sich selbst? Wo beginnt die Autorität der Gesellschaft? Welcher Teil unseres Lebens gehört nur uns selbst an? Und welcher der Gesellschaft? Jeder erhält den ihm zukommenden Teil, wenn jeder das hat, was ihn in besonderem Maße betrifft. Dem Einzelnen gehört der Teil des Lebens, der vor allem die Interessen des Individuums berührt; der Gesellschaft der, der sie in besonderem Maße interessiert. Zwar ist der Staat nicht durch einen Vertrag gegründet worden, und wir gewinnen nichts, wenn wir einen Vertrag erfinden, um die sozialen Forderungen davon abzuleiten. Immerhin aber schuldet jeder, der den Schutz der Gesellschaft genießt, ihr eine Gegengabe für jene Wohltat. Die Tatsache, dass wir in einer Gesellschaft leben, verpflichtet jeden zu einer gewissen Rücksicht; und diese Rücksicht besteht zuerst darin, dass man die Interessen der andern nicht verletzt, sondern sich gegenseitig gewisse Interessen verbürgt, die entweder durch besondere gesetzliche Bestimmungen oder durch stillschweigende Übereinkunft als Rechte betrachtet werden. Die Rücksicht auf die Gesellschaft aber erfordert ferner, dass jeder Einzelne seinen nach Billigkeit zu messenden Anteil an den Arbeiten und Opfern trage, die nötig sind, um die Gesellschaft und ihre Glieder vor Unbill und Angriff zu schützen. Ja, die Gesellschaft hat das Recht, diejenigen, die sich der Erfüllung dieser Pflichten entziehen wollen, zu zwingen. Aber die Rechte der Gemeinschaft gehen noch weiter. Die Handlungen eines Menschen können für andere Menschen nachteilig sein, sie können die gebührende Rücksicht auf das Wohl der Andern vermissen lassen, ohne bis zu einer Verletzung ihrer gesetzmäßigen Rechte zu gehen. In diesem Fall kann der Handelnde zwar nicht durch das Gesetz, wohl aber durch die öffentliche Meinung gestraft werden. Sobald die Handlung eines Menschen die Interessen eines Andern nachteilig berührt, fällt er der Gerichtsbarkeit der Gesellschaft anheim, und es entsteht die Frage, ob das Wohl der Gesamtheit durch dieses Dazwischentreten gefördert wird, oder nicht. Dagegen ist diese Frage nicht aufzuwerfen, wenn die Handlung eines Menschen die Interessen Anderer nicht berührt oder sie nicht zu berühren braucht, außer mit der Zustimmung der Betroffenen. (Dabei ist allerdings vorausgesetzt, dass diese volljährig seien und wenigstens über den gewöhnlichen Menschenverstand verfügen.) In allen solchen Fällen sollte vollkommene gesetzliche und soziale Freiheit bestehen, die Handlung zu vollziehen und ihre Folgen zu tragen.

Es hieße, diese Lehre vollkommen missverstehen, wenn man vermutete, sie lehre selbstsüchtige Gleichgültigkeit und sie behaupte, dass die Menschen im Leben nichts miteinander zu tun hätten und dass sie sich um das Wohlverhalten und Wohlsein anderer nur soweit zu kümmern hätten, als ihre eignen Interessen dabei im Spiel sind. Wir brauchen wahrlich nicht eine Verminderung, sondern eine erhebliche Vermehrung des uneigennützigen Interesses für das Wohl anderer. Aber uneigennütziges Wohlwollen kann andere Mittel finden, um die Menschen zu ihrem eignen Besten zu überreden, als Rute und Geißel im eigentlichen wie im übertragenen Sinne. Ich bin der Letzte, der die Pflichten gegen das eigne Selbst unterschätzt. Sie stehen, wenn überhaupt einer Instanz, dann höchstens den sozialen Pflichten nach. Die Erziehung hat beide Pflichten in gleicher Weise zu berücksichtigen.



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