Surviving the Twentieth Century by Judith T. Marcus

Surviving the Twentieth Century by Judith T. Marcus

Autor:Judith T. Marcus
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Taylor & Francis (CAM)
veröffentlicht: 2018-06-13T16:00:00+00:00


Die Schwelle 1918—die existenzialistische Wende

Die nächste Generation in Leipzig war geprägt vom Eindruck der totalen Zerstörung aller historisch gewachsenen Strukturen und kulturellen Traditionen durch die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Entwicklungsgesetze der Kulturformen—worauf sollten sie noch begründet werden? Impulse und Richtungsbestimmungen für eine Gesellschaftsreform erwartete man von der Soziologie, die in Deutschland erst nach 1918 als eigenständige akademische Disziplin begründet wurde. Hans Freyer, als Schüler von Karl Lamprecht, Wilhelm Wundt, Karl Bücher und Johannes Volkelt dem Leipziger Schulzusammenhang zuzurechnen, erhielt 1925 in Leipzig den ersten deutschen Lehrstuhl nur für Soziologie, ohne die bis dahin übliche Beiordnung eines anderen Faches, und man darf mit Recht annehmen, daß die vorher bekämpfte Leipziger sozialwissenschaftliche und kulturhistorische Ausrichtung jetzt für die Errichtung dieses ersten soziologischen Lehrstuhls sogar ausschlaggebend war9. Die für Leipzig typische Verknüpfung der Einzeldisziplinen blieb erhalten; Freyers Institut war sehr klein: eine Professur (Freyer), eine Privatdozentenstelle (Gunther Ipsen), ein Assistent (Willy Bloßfeldt). Der Nachfolger Lamprechts, Walter Goetz, legte großen Wert auf Zusammenarbeit dieser beiden Institute, und die meisten soziologischen Lehrveranstaltungen wurden gleichzeitig für das Studium der Kultur- und Universalgeschichte angekündigt. Intensiven wissenschaftlichen Austausch gab es nach wie vor mit der Psychologie (Felix Krueger), den Religionswissenschaften (Joachim Wach), der Philosophie (Hans Driesch und Arnold Gehlen), der Pädagogik (Theodor Litt), und dem Seminar für Freies Volksbildungswesen (Hermann Heller). Der Philosoph Hugo Fischer las für Philosophen und Soziologen, die Religionswissenschaftler Joachim Wach und Paul Tillich lasen auch für das soziologische Institut, Freyer lehrte zugleich für das Seminar für Freies Volksbildungs-wesen; der Soziologe Gunther Ipsen lehrte Geschichtsphilosophie auch für das Institut für Kultur- und Universalgeschichte usw.

An Freyers Einordnung der Soziologie in das allgemeine System der Wissenschaften ist der Bezug zum Leipziger Positivismus sofort zu erkennen; gleichzeitig wird aber der emanzipatorische Auftrag dieser neuen Wissenschaft sehr viel schärfer formuliert: Die Soziologie, historisch aus der Geschichtsphilosophie hervorgegangen, müsse jetzt mit dem Anspruch auftreten, Universalwissenschaft von der Kultur und ihrer Entwicklung zu sein. Jede systematische Begriffsbildung der Soziologie führe deshalb “not-wendig auf den Gedanken typischer Grundstrukturen der gesellschaftlichen Wirklichkeit und auf das Problem ihres genetischen Zusammenhangs.”10. Freyers Dissertation, “Die Geschichte der Geschichte der Philosophie im 18. Jahrhundert”(1911), entstand im Rahmen mehrerer Forschungen zur Aufklärung am Lamprechtschen Institut und behandelte das zentrale theoretische Problem—nicht nur der Aufklärung, sondern gleichermaßen der Lamprechtschen universalhistorischen Theoriekonstruktion. Freyer legte dar, daß dieses Problem sich nur durch die “Selbstzerstörung” der rationalistischen Denksysteme lösen konnte: Nur dadurch, daß die aufklärerische Philosophie sich im Stadium der Wissenschaft angelangt sieht, kann sie dem eigenen System gegenüber eine historische Haltung einnehmen und bezieht es dadurch in die allgemeine Entwicklungsgeschichte der Philosophie mit ein; das historische Verständnis schlägt in direkten Erkenntniswert um.

Denn die historischen Wirklichkeiten der Geschichte der Philosophie sind für die Philosophie selbst logische Möglichkeiten. Zunächst gewußte Tatsachenreihen, fungieren die verstandenen Systeme zugleich als logische Gedankenreihen und werden systematisch wirksam.11

Hierauf baute Freyer sein eigenes dialektisches System auf, mit dem er die unrechtmäßige Extrapolation von universalen Entwicklungsstufen der Menschheit in die Zukunft durch die Kontingenz der historischen Entwicklung ersetzt zu haben glaubte. “Geschichte” und “System” sollen jetzt “realdialektisch” miteinander verknüpft werden;



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