Fassadendemokratie und Tiefer Staat by Ullrich Mies/Jens Wernicke

Fassadendemokratie und Tiefer Staat by Ullrich Mies/Jens Wernicke

Autor:Ullrich Mies/Jens Wernicke
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Promedia Verlag
veröffentlicht: 2017-09-04T16:00:00+00:00


Hermann Ploppa

Egal, welche Partei gewinnt, welche Köpfe immer das Kanzleramt zieren, die Politik bleibt stets dieselbe. Das bedeutet mehr Rüstung, weniger Sozialstaat und verrottende Infrastruktur. In jahrzehntelanger, Generationen übergreifender Unterwanderung haben sich diskrete Netzwerke über das Land gelegt, die eine klare Agenda verfolgen: Deutschland ähnelt zunehmend den USA. Der Staat wird ohne Not in die Insolvenz getrieben, um sodann die öffentliche Insolvenzmasse einer Kaste von Privatisierungsgewinnern zum »Schnäppchenpreis« zu übereignen. Die Bürger dieses »schlanken Staates« werden zu rechtlosen Objekten einer neofeudalen Bakschisch-Kultur degradiert.

Wieder einmal ist es Zeit für mich, in der Universitätsklinik Marburg Blut zu spenden. Über dem neuen Haupteingang der Klinik steht in großen Lettern: Anneliese Pohl Krebszentrum Marburg. Anneliese Pohl ist vor einigen Jahren an Krebs verstorben. Das veranlasste ihren Witwer Reinfried Pohl dazu, aus seinem Vermögen eine Anneliese- Pohl-Stiftung ins Leben zu rufen. Dr. jur. Reinfried Pohl war dazu in der Lage, denn mit einem Privatvermögen von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2013 gehörte er zu den reichsten Menschen in Deutschland. Aufgrund dieses biographischen Zufalls gelangen Marburger mit Krebsdiagnose in den Genuss einer psychosozialen Betreuung, die ansonsten in Zeiten knapper Mittel unterblieben wäre. Den Reichtum hatte Reinfried Pohl, der 2014 starb, mit der Vermarktung von Versicherungsverträgen gemacht. Die extreme Expansion seines erst 1975 gegründeten Konzerns basiert auf einem Pyramidensystem: Die frei schaffenden Versicherungsvertreter mussten einen Teil ihrer Provision an jene Vertreter abgeben, von denen sie angeworben wurden. Erst wenn sie selbst wiederum Vertreter angeworben hatten, begann für sie das Geldverdienen.

Dr. Pohl ist Ehrenbürger der Stadt Marburg, Ehrensenator der Universität. Seiner Frau zu Ehren wurde eine Straße in Anneliese-Pohl-Allee umbenannt. Ein gigantischer Glaspalast feiert den Firmenpatriarchen als Messias der »Pohl-Konfession«. Die einst heruntergekommene Nordstadt ist nach dem Gusto des großen Allfinanzkönigs neu erstanden aus Ruinen.204

Das Klinikum Marburg befindet sich nicht mehr in öffentlicher Hand. Es wurde mit dem Universitätsklinikum Gießen zwangsweise fusioniert. Denn nur vereinigt waren die beiden Krankenhäuser potenziell rentabel für private Investoren. Die Privatisierung des Krankenhaus-Konglomerates erfolgte 2006, und die Rhön-Klinikum AG ersteigerte die ehemaligen öffentlichen Versorgungseinrichtungen für lediglich 112 Millionen Euro.205 Mochten auch die Beschäftigten gegen dieses Schnäppchengeschäft Sturm laufen. Mochten auch tausende Bürger gegen ihre Enteignung demonstrieren, in Protest-Andachten in der gotischen Kathedrale der Elisabethgemeinde den schnöden Mammon ,n. Die Kliniken gingen über den Ladentisch, ohne Not – denn die Finanzen des Landes Hessens waren gesund. Protestierende Ärzte wurden von Anwälten der Privatisierer eingeschüchtert. Dass mittlerweile auch die Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin die vollzogene Privatisierung für unvereinbar mit den Aufgaben einer öffentlichen Versorgungseinrichtung erklärt, ändert an den vollzogenen Tatsachen nichts mehr.206



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