Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein - Tagebücher by Residenz

Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein - Tagebücher by Residenz

Autor:Residenz
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Residenz
veröffentlicht: 2011-12-31T16:00:00+00:00


1984 1. 1. Ein angenehm warmer Tag, an dem ich den Anfang von [Witold] Gombrowicz »Ferdydurke« las, froh darüber, den wirklichen Geist Polens zu atmen, nach all dem Mediengequake über die prominenten Marienanbeter und politischen Showmaster. Der Papst umarmt seinen Mörder, dank einer Spitzenleistung der modernen Chirurgie.

2. 1. Perihelium bei warmem Sonnenwetter. Ein kleiner Fortschritt der Sonnenlinie auf meinem Fußboden lässt sich seit der Wende beobachten. Wintereinbruch wird prophezeit. Voriges Jahr blieben wir den ganzen Jänner über verschont. Am 4. 1. kam wirklich der Schnee, so dünn, dass man nicht schaufeln musste. Auch später vermehrte er sich kaum.

Am 20. 1. kamen Toni & Lotte Fuchs auf Besuch und blieben bis 22. 1. Tonis Körperbewegungen werden immer starrer, als schwinde die geschmeidige Muskelsubstanz und das Skelett käme an die Oberfläche. Diese Starre prägt sich auch in seinem Stil aus, was ich in gewisser Hinsicht als Vorteil betrachte, denn es ist geradezu ein Kennzeichen schlechter Schriftsteller, dass sich ihre physische Konstitution nicht bis in den Satzbau erstreckt. Toni gab mir eine Kopie seines Hauptwerkes »Triptychon«, von dem er ca. ausgeführt hat. Natürlich will er genau das tun, wovon ich ihn vor vielen Jahren gewarnt habe: Haupteinsatz auf ein Monstrum (á la Joyce, Musil etc.). Aber das moderne Leben scheint in seinem Werk weder stilistisch noch intellektuell gegenwärtig zu sein. Nirgends spürt man, wie »das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt«. Am 21. 1. abends im Peterskeller mit Kappacher und Aigner.

Am 8. 2. hielt ich zum einjährigen Bestand des »Rupertinum«* eine kurze Lesung. Artmann, Jandl & Mayröcker lasen ebenfalls, und man saß nachher im »Elefanten« beisammen.

Der Wunsch, von der anerkannten Literatur wegzukommen. Seltsam läppisch und unergiebig sind diese berühmten Dichter, ohne Reiz und Geheimnis, ohne fesselnde Bemerkungen, die ihnen zu sich selbst oder zu ihrer Umgebung einfielen. Unausgegoren, infantil, behängt mit Ideologien und verkrachten Literaturtheorien, ihre Hilflosigkeit überspielend mit Zynismen oder fassadenhafter Seriosität. Das Schöne ist unseriös, der Übermut läppisch, der Spaß unlustig und verkrampft.

5. 3. Lesung von [Adolf] Muschg. Ein angeblicher Vampir treibt sich unter den Quacksalbern der Soziologie herum. Eine matte Satire, vorwitzig und gewitzt. Nachher im Restaurant. Kurze Unterhaltung mit Muschg über China: Er zeigt eine uferlose Toleranz, gesalbt mit allen Abwässern der Psychologie und der zerrinnenden Ideologie des enttäuschten Linken.

9. 3. Im Verlag bei Lektor Jung, der mein Tagebuch aus China ablehnte. Ich soll mich mit Leuten herumschlagen, die meine Haltung nicht einmal im Ansatz verstehen. 12. 3. [Wilhelm] Muster & Kappacher im Café Bazar. Muster Parodien. 27. 3. Lesung im Trakl-Haus in der sogenannten »Mo-Ku« (Ges. für Moderne Kunst). Der Ausdruck »Moku« würde sich ausgezeichnet dazu eignen, alle unsere Unternehmungen auf dem »Kunstsektor« zu bezeichnen. Was wir machen, ist Moku. Der 80-jährige Oskar Fritz Schuh schlief ein.

28. 3. Mit Barbara nach Wien. Niederträchtiges Wetter. Wir besuchten H. und die Kovacevice. Schreckliches Erlebnis (Vision einer herabfallenden Hand) beim Heurigen.

Am 9. 4. hielt ich in einer Freilassinger Buchhandlung eine Lesung vor 5–6 Personen. Nachher im »Triangel« Schweizer Schriftsteller & [Jürg] Laederach. Mit ihm in der »Daimler-Bar«. Seltsam verstümmelter Mensch.

11. 4. Fahrt nach München zur Beckmann-Ausstellung in Begleitung von Christoph Aigner.



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