Erinnerungen eines Narren - Roman by Marianne Gruber

Erinnerungen eines Narren - Roman by Marianne Gruber

Autor:Marianne Gruber
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Haymon Verlag
veröffentlicht: 2012-03-28T04:00:00+00:00


8

Heute war wieder der junge Mann da, von dem ich Ihnen erzählt habe, der Bursche, der Listen von mir ausgefüllt haben wollte. Haben Sie ihn gesehen? Er wünschte mehr über meinen Aufenthalt in der Schweiz zu erfahren. Medizinische Versorgung, Wohnadressen, auch die von Bekannten oder Freunden, Namen von während des Schweizer Aufenthalts Verstorbenen, Bankkonten falls vorhanden, eventuelle Versicherungen. Er gibt noch immer nicht auf. Kann er wahrscheinlich nicht. Ich nehme an, daß seine Tätigkeit bezahlt wird, da muß er etwas vorweisen. Listen, Listen und angekreuzte Kästchen nach einem vorgegebenen Muster, als ob sich ein einzelnes Leben in einem solchen Muster darstellen ließe.

Ich fragte ihn, was das Licht denkt, wenn es die alten Dinge sucht, Menschen und Tiere, die nicht mehr da sind, das habe ich nie herausgefunden. Es scheint und leuchtet die Leere aus, die weiten Felder neuer Gesichter, anderer Dinge, seltsamer Lebewesen, die gezackten Linien der Gebirge, die sich allmählich verwandeln, runder werden, spitzer, an Höhe verlieren, ihr Eis in die Ebenen abschmelzen, einen freigeben, der ausging, die Höhe zu bezwingen, und es nicht geschafft hat, dessen Knochen, nun ausgeworfen, in der Sonne bleichen, um endlich zerfallen können. Nichts ist so widerwärtig wie der Tod, der das Leben unwirklich macht und es nicht rechtfertigen kann, nichts so widerwärtig wie das Licht, das ihn beleuchtet. Es gab eine Zeit, in der ich die Nacht zu meinem Revier machte, das gnädige Dunkel, die anschmiegsame Finsternis, obwohl Hieronymo unnachsichtig auf meinem Training bestand und dessen Beginn grundsätzlich in der Früh ansetzte. Um ihm das Leben leichter zu machen, ging ich allein üben, für Gymnastik braucht man keinen zweiten. Man kann die Übungen halb im Schlafen erledigen, und das machte ich auch. Hin und wieder gesellte sich Rollo zu mir und stoppte die Zeit, die ich brauchte, um dreimal um das Zelt zu sprinten. Keine Ahnung, woher er eine Stoppuhr hatte. Er hatte auch keine. Dahinter kam ich erst, als ich das Hase-Igel-Spiel mit ihm spielen wollte und ihn beobachtete. Er pendelte gleichmäßig hin und her und zählte die Pendelbewegungen, das war seine Uhr.

Alle Achtung, dachte ich, er hat die Zeit in seinem Körper, und lief, um ab da auch ihn zu trainieren.

Von regelmäßigen Auftritten Abend für Abend war keine Rede mehr, darin irrte Hieronymo. Der Druck auf die Schweiz und auf die Menschen, die in ihr lebten, hatte sich zwar mit den zunehmenden Niederlagen nicht weiter verstärkt, aber nun fürchtete man anscheinend weitere Flüchtlingsströme. Man wurde Fremden gegenüber noch mißtrauischer, als man es all die Zeit über vorher schon gewesen war. Ein paar Male gaben wir zwar Vorstellungen, aber sie waren kümmerlich. Die Löwen und Bären ließen wir ihres schlechten Ernährungszustands wegen nicht mehr in die Manege, auch Vorführungen der Akrobaten in der Zirkuskuppel kamen nicht in Frage, sie hatten ihr Vertrauen in die Verankerung der Trapeze verloren. Die Jongleure traten auf, die Bodenakrobaten zeigten einen Teil ihrer einstudierten Nummern, Rollo und ich blödelten dazwischen, die dressierten Hunde bettelten um Münzen, auf den Hinterbeinen stehend, mit einem Hütchen auf dem Kopf. Hin und wieder bekamen sie sogar welche.



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