Ente à l'orange by Knapp Radek

Autor:Knapp, Radek [Knapp, Radek]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492985024
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-08-30T16:00:00+00:00

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Nach der Sache mit Hainburg streifte ich die nächsten Tage ziellos in den Straßen Wiens umher und suchte nach einem neuen Job. Aber entweder lag es an meinem Akzent oder an meiner Kleidung oder an beidem zusammen. Es gab keine Jobs, und damit basta. Mein Vermögen belief sich auf sieben Schilling, die sich zufällig in meiner Hosentasche verfangen hatten. Mit sieben Schilling konnte ich nicht viel ausrichten, und dabei hatte ich zum ersten Mal wirklichen Hunger. Ich ging in eine Billa-Filiale und beschloss, eine Stange Kantwurst zu klauen.

Aber im Gegensatz zu dem, was man über uns Polen behauptet, war ich ganz und gar nicht zum Stehlen geboren. Als ich mit der Kantwurst an der Kassa vorbeiging, begann sie immer schwerer zu werden. Schließlich wurde sie so schwer, dass ich nur darauf wartete, bis sie der Kassiererin genau vor die Füße fallen würde. Aber die Kassiererin bedachte mich nur mit einem mitleidigen Blick und beugte sich über ihre Kassa. Vielleicht wusste sie Bescheid, vielleicht machte ich aber auch inzwischen einen so heruntergekommenen Eindruck, dass sich sogar Kassiererinnen von mir abwandten.

Wer weiß, wie das Ganze ausgegangen wäre, hätte ich nicht bei der polnischen Kirche Bolek kennengelernt. Er war einer der wenigen, die dort noch wegen der Messe hingingen. Ich stand in der Beichtstuhlschlange und überlegte mir gerade allen Ernstes, ob ich den Pfarrer nicht fragen sollte, ob er vielleicht einen Koch oder einen Gärtner brauchte. Da sprach mich ein großer, etwas stupide aussehender Riese an. Er war noch größer als Arnold, aber er hatte ein Gesicht, in dem man wie in einem offenem Buch lesen konnte. Es war Bolek. Nachher erzählte er mir, dass meine abgetragenen Tennisschuhe in ihm Mitleid erweckt hatten. Meine Schuhe trug ich schon eine Weile, doch bisher hatten sie noch bei niemandem Mitleid erweckt. Aber Bolek stammte aus Tschenstochau. In dieser Stadt leben Leute, die wegen abgetragener Tennisschuhe Mitleid verspüren und daran glauben, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat.

Da Bolek bereits seit einem Jahr in Wien war, hatte er viele Bekannte. Die meisten waren aus Tschenstochau, und wenn sie einmal zusammenkamen, konnte man sie nicht mehr auseinanderhalten. Er selber arbeitete an einem Presslufthammer beim Bau der Wiener U-Bahn. Aber da für mich eine Presslufthammerarbeit nicht infrage kam, verschaffte mir Bolek zuerst ein paar leichtere Jobs, bis ich schließlich bei Moischele Brunfstein landete, einem Juden aus Lublin, der am Mexikoplatz mit sprechenden Robotern aus Hongkong, Miniatureisenbahnen und sich selbst aufblasenden Bällen handelte. Moischele Brunfstein war der gerissenste Geschäftsmann, den ich je gesehen hatte. Während ich am Ladentisch türkischen Kindern Spielzeug andrehte, verscherbelte er in seinem Hinterzimmer per Telefon ganze Eisenbahnwaggons an gestohlenen Armbanduhren und Silberschmuck.

An meinen freien Tagen versuchte ich als Friseur ein bisschen dazuzuverdienen. Zu Hause schnitt ich meiner ganzen Familie die Haare, und daher hatte ich etwas Übung darin. Nach ein paar Wochen verfügte ich über eine kleine Kundschaft, die allesamt aus Tschenstochau kam und sich darüber nicht aufregte, wenn ich ihnen irrtümlich den ganzen Scheitel wegschnitt. Aber richtig aufwärts begann es zu gehen, als Bolek auch mein Unterkunftsproblem gelöst hatte.

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