Endstation Islamischer Staat? - Staatsversagen und Religionskrieg in der arabischen Welt by Rainer Hermann
Autor:Rainer Hermann [Hermann, Rainer]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423427937
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2015-03-03T16:00:00+00:00
Totalitäre Ideologie: Wahrheitsanspruch des Kalifats
Seit Juli 2014 erscheint das Propagandamagazin ›Dabiq‹ in mehreren Sprachen. Das Magazin soll den IS ideologisch legitimieren und ihm neue Rekruten zuführen. Bereits der Name des Magazins lässt Rückschlüsse zu auf das archaische Weltbild des IS. Muhammad, dem Propheten des Islams, wird der Ausspruch zugeschrieben, dass zum Ende der Welt in Dabiq die Armeen der Muslime und des Westens aufeinandertreffen werden. In der Gegenwart heißt so ein Ort nördlich von Aleppo nahe der Grenze zur Türkei; dort, nicht weit von Kobane, sollen sich die eschatologischen Szenen vom Ende der Welt ereignen.
Die Interpreten des Ausspruchs glauben, dass sich in dieser Schlacht der ewige Kampf zwischen Gut und Böse entscheiden werde, zwischen der göttlichen Gerechtigkeit und der menschlichen Tyrannei. Dann werde das Jüngste Gericht nicht mehr fern sein. Doch zuvor werden die Muslime noch »Rom« erobern. Damit war damals Konstantinopel, das Zentrum des oströmischen Reichs, gemeint. Apologeten des IS identifizieren damit aber das heutige Rom, konkret den Vatikan. Baghdadi hat in seinen Predigten wiederholt diesen Hadith, also Ausspruch Muhammads, zitiert.
So kündigen die ersten Ausgaben des Magazins die Eroberung des Vatikans an, begründen die Errichtung eines Kalifats und begrüßen am Beispiel der verschleppten yezidischen Frauen die Rückkehr der Sklaverei. Artikel präzisieren die militärische Strategie des IS und verheißen die Eroberung von Saudi-Arabien. Das geschieht indirekt, indem das Magazin häufig die Formel Millat Ibrahim verwendet, die »Nation Abrahams«. Damit ist zum einen die Nachfolge des Patriarchen Abraham gemeint. Zum anderen hatte aber 1984 auch Abu Muhammad al-Maqdisi eine in Jihadistenkreisen bekannte Abhandlung mit diesem Titel verfasst. Maqdisi hieß dabei die Erstürmung der Großen Moschee 1979 in Mekka durch den salafistischen Extremisten Juhaiman al-Utaibi gut und kündigte den Sturz der Dynastie der Al Saud an.
Indem ›Dabiq‹ den Begriff Millat Ibrahim verwendet, sagt das Magazin der saudischen Königsfamilie den Kampf an und suggeriert, dass es die Unterstützung des nach wie vor einflussreichen Ideologen Abu Muhammad al-Maqdisi genießt. Dieser hatte als Zarqawis Mentor am Anfang des Staatsbildungsprojekts der Jihadisten gestanden. Maqdisi ging indes zum »Kalifen« Baghdadi und dessen Staat auf Distanz. In einer Erklärung vom 14. Mai 2014 warf er Baghdadi vor, dass dieser, unter dem Vorwand, al-Qaida sei vom »wahren Pfad« des Jihads abgekommen, dessen Führer Ayman al-Zawahiri die Gefolgschaft und den Treueeid verweigerte. Er kritisierte Baghdadi für das »dokumentierte Morden« von Muslimen und dessen »Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien« als eine »irregeleitete Organisation«. Maqdisi appellierte daher an die Anhänger dieses »Islamischen Staats im Irak und in Großsyrien«, diesen zu verlassen und sich der Nusra-Front als der einzig legitimen Jihad-Bewegung anzuschließen.
Am 1. Juli 2014, dem dritten Tag nach der Ausrufung des Kalifats, besiegelte Maqdisi den Bruch mit einem Schreiben, in dem er auf eine nicht vorliegende Replik Baghdadis antwortet. Maqdisi stellte zwar nicht grundsätzlich das Projekt eines Kalifats infrage. Er sprach Baghdadi aber das Recht ab, einen Staat zu leiten und den Titel »Kalif« zu führen. Maqdisi stieß sich vor allem an den Methoden Baghdadis, und er fragte sich, was die Waffen in den Händen von dessen Anhängern noch alles anrichten werden.
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