Emmas Story by Muentefering Miriam

Emmas Story by Muentefering Miriam

Autor:Muentefering, Miriam [Muentefering, Miriam]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: BASTEI LÜBBE
veröffentlicht: 2013-12-19T16:00:00+00:00


8. Kapitel

»Nachmieter für individuelles Wohnen! Ökolog. Holzhaus, Strom-Selbstvers. durch Solaranl., Ferienbetreuung von Freigangkatzen erwünscht.«

Ich weiß nicht, wie mir jemals die Idee kommen konnte, dass es eine spaßige Sache sein würde, den Doktortitel zu erlangen.

Für ein ganzes Jahr auf mein volles Gehalt als Dozentin zu verzichten und stattdessen diese halbe Stelle zu bekleiden, bei der es mehr oder weniger darum geht, den Unterricht der anderen mit vorzubereiten. Ich vermisse meine eigenen Stunden, die StudentInnen, ihre Fragen, ihren Eifer, ihre Wissbegier, die Aufregung der Erstsemester, die zur Schau gestellte Lässigkeit der Zweitsemester. Ich vermisse es, Gesichtern aus den Seminaren in der Cafeteria zu begegnen, ihnen zuzunicken und ihren Stimmen und Gesprächen zu lauschen. Mein normaler Arbeitsalltag kommt mir mittlerweile verlockend vor, denn jetzt hocke ich morgens in einem unpersönlichen No-Name-Büro an der Uni, lese, recherchiere, stelle zusammen, kopiere, arbeite rein theoretisch. Nachmittags hocke ich dann hier zu Hause an meinem schönen Schreibtisch. Aber auch hier lese und recherchiere ich, stelle ich zusammen und arbeite rein theoretisch.

Anfangs war ich noch mit Feuereifer dabei. Ich dachte, nichts sei wichtiger als meine Forschungsarbeit und meine wissenschaftliche Meinung.

Jetzt frage ich mich: Wen interessiert eigentlich die Darstellung von Moral und Ethik in den Briefen, die sich die wenig bekannte deutschfranzösische Schriftstellerin Madelein Chapel und der Dichter Egon Goldmann Anfang des letzten Jahrhunderts schrieben?

An Tagen wie diesem interessiere nicht einmal ich mich dafür. Und manchmal wird es über diesem Frust schon Abend, bevor ich der Arbeit auch nur einen vernünftigen Satz hinzugefügt habe – so wie heute.

Statt sich brav über die Wertevorstellungen von Menschen herzumachen, die schon lange tot sind, fliegen meine Gedanken hierhin und dorthin.

Nirgends wollen sie sich lange aufhalten, bei Wichtigem schon gar nicht. Nebensächliches wird plötzlich zum Lebensmittelpunkt. Mal scheint es furchtbar wichtig, die Fenster zu putzen. Dann wieder lässt sich das Fingernägelfeilen unmöglich aufschieben. Ich schleppe nacheinander eine Tasse Tee, dann Salzgebäck, dann Schokolade, dann eine Kiwi und Weintrauben, dann den letzten Karamell-Pudding aus der Küche an meinen Schreibtisch. Wirklich Hunger habe ich nicht.

Ich denke sogar daran, meine Mutter anzurufen. Mit meinem Vater telefoniere ich so gut wie nie. Auch meine Mutter und ich hängen nicht ständig an der Leitung. Alle drei Wochen etwa ein Telefonat. Das genügt uns beiden zum Kontakthalten und Neuigkeitenaustauschen.

Es fällt mir allerdings auf, dass ich in den letzten Tagen vermehrt an meine Eltern denke. Natürlich liegt das an Lu.

Sie ist wie ein Kieselstein in den See der Erinnerungen gefallen. Vom Punkt ihres Eintauchens ausgehend, ziehen kleine, kaum sichtbare Wellen mit Bildern an meinen inneren Strand. Keine besonderen Momente, nur Kleines, Unwichtiges, fast schon Verlorenes.

Die Terrasse im Sommer, mein Vater am Grill, lauthals lachend, weil der Nachbarshund ein Schnitzel geklaut hat. Meine Mutter, wie sie den Weihnachtsbaum schmückt und leise Stille Nacht singt. Wir drei vor dem Fernseher bei einem Miss-Marple-Film.

Bilder, die allesamt aus meiner Kinder- und Jugendzeit stammen und beinahe ein wenig Heimweh erzeugen. So was Dummes. Als wäre früher irgendetwas besser, schöner, reicher gewesen. Ich fange schon genauso an, die Vergangenheit zu verklären, wie meine Oma es früher getan hat.



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