Elke versteht das by Wolfgang Brenner

Elke versteht das by Wolfgang Brenner

Autor:Wolfgang Brenner
Format: epub
Herausgeber: dtv


DAS SCHWEIGEN

Elke war in dieser eigenartigen Stimmung. Eine Stimmung, in die nur Frauen ihres Alters kommen. Frauen, die das Leben kennengelernt haben und dennoch nicht verzagt sind.

»Weißt du, was ich an dir liebe?«, fragte sie.

Schmalenbach saß kerzengerade. Nicht, dass er sich davor gefürchtet hätte zu erfahren, was Elke an ihm liebte. Da gab es ja genug zur Auswahl. Nein, was ihm so zu schaffen machte, war die Gewissheit, dass auf diese großherzige, ja zärtliche Frage unweigerlich eine zweite folgen würde. Nämlich die Frage: »Und was ist es, was du an mir liebst?«

Schmalenbach konnte nur verlieren. Keine Frau der Welt war auf die Frage, was man an ihr liebte, zufriedenzustellen. Am wenigsten Elke. Sollte der arme Schmalenbach sagen, dass er sie wegen ihres immer noch sehr reizvollen Körpers liebte? Allein schon die höflichen Adverbien »immer« und »noch« waren dazu geeignet, Elke in einen biblischen Furor zu stürzen. Mal ganz abgesehen davon, dass es für sie eine pure Formalität war, Schmalenbach in schärfster Form zurechtzuweisen, weil ihm im Zusammenhang mit Liebe nichts anderes einfiel als plumpe, körperliche Reize – auch wenn Elke davon eingestandenermaßen eine Menge besaß.

Wenn er sich jedoch auf ihre geistigen Tugenden besann, wenn er ihre Großzügigkeit und Milde, ihre Sensibilität und Mitmenschlichkeit hervorhob – dann konnte er sich erst recht auf einen Wutanfall gefasst machen. Ob sie denn schon so alt und unansehnlich, so fett und unförmig, so faltig und geschlechtslos sei, dass er diese abgenutzten, romantischen Klischees bemühte, um darüber hinwegzutäuschen, dass sie ihn körperlich nicht mehr ansprach.

Man sieht schnell: Schmalenbach befand sich in einem unlösbaren Dilemma.

Nun mögen gerissenere Naturen in Erwägung ziehen, diese beiden Pole der Weiblichkeit – das ästhetische und das spirituelle Lob – geschickt zu kompilieren. Was sie aber dann erwartete, würde ihnen ein für allemal die Lust an sophistischen Übungen nehmen: »Wie kann man nur so blöd sein zu glauben, eine einigermaßen intelligente Frau werde sich mit derartigen Widersprüchen abfertigen lassen?«

Schmalenbach beschloss also zu schweigen.

Daraufhin ergriff Elke selbst wieder das Wort. »Du wirst es nicht glauben, aber ich liebe vor allem an dir, dass man mit dir so wunderbar schweigen kann.«

Schmalenbach glaubte erst, er hätte sich verhört: Schweigen. Ein Wort, das im Kosmos von Elke bisher nicht vorkam. Schweigen.

Nun gut. Also schwieg er.

Auch Elke schwieg. Das war eine neue, eine ganz ungewohnte Erfahrung.

Dass sie beide schwiegen. Und dass Elke dieses Schweigen auch noch zu genießen schien. Sie schloss sogar die Augen und lächelte selig. Schmalenbach wurde es ganz mulmig. Wo sollte das noch hinführen?

Schmalenbachs rechte Hand schlief ein. Er bewegte sie. Seine Knöchel knackten. Es klang wie die Explosion einer Handgranate im Spülbecken.

Elkes Augenlider zuckten leicht. Aber sie sagte nichts. Sie schwieg weiter.

Schmalenbach spürte seinen Darm. Jetzt, da geschwiegen werden sollte, produzierte der ein geradezu obszönes Knurren. Schmalenbach hüstelte, weil er hoffte, damit das Darmgrimmen zu übertönen. Aber Elke, die Arme, vernahm beides. Dennoch schwieg sie weiter. Diese wunderbare, diese großmütige, diese verständnisvolle Frau schwieg ein archaisches Schweigen – und Schmalenbachs Knöchel knirschten dazu und sein Darm tat sich wichtig und spielte verrückt.

Langsam sah er selbst ein, dass Elke es nicht einfach hatte.



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