Eine Frage der Chemie by Garmus Bonnie
Autor:Garmus, Bonnie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
Elizabeth sank auf die Fersen. Sie dachte daran, wie energisch Calvin die Absenderadresse des Hastings auf dem Angebotsschreiben umkringelt hatte. Commons, Kalifornien. Dann hatte er Donattis beleidigendes Angebot nicht angenommen, um seine Karriere voranzutreiben, sondern um zu rudern? Aufgrund des einzeiligen Wetterberichts eines frommen Surfers? Das beste Wetter der Welt. Im Ernst? Sie nahm den nächsten Brief.
»Wollten Sie schon immer Pfarrer werden?«, fragte Calvin.
»Ich entstamme einer langen Reihe von Seelsorgern«, antwortete Wakely. »Es liegt mir im Blut.«
»So funktioniert Blut nicht«, stellte Calvin klar. »Ãbrigens, was ich Sie fragen wollte: Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen an Texte glauben, die vor Tausenden von Jahren geschrieben wurden? Und wie kommt es, dass die Menschen anscheinend umso mehr an diese Texte glauben, je übernatürlicher, unbeweisbarer, unwahrscheinlicher und altertümlicher ihre Quelle ist?«
»Menschen brauchen Zuversicht«, schrieb Wakely zurück. »Sie brauchen die Gewissheit, dass andere schwere Zeiten überstanden haben. Und im Gegensatz zu anderen Arten, die besser aus ihren Fehlern lernen, benötigen Menschen ständige Drohungen und Ermahnungen, um nett zueinander zu sein. Fakt ist, die Menschheit wird nicht klüger. Aber religiöse Texte versuchen, sie auf Kurs zu halten.«
»Aber liegt nicht mehr Trost in der Wissenschaft?«, antwortete Calvin. »In Dingen, die wir beweisen und somit verbessern können? Mir ist einfach schleierhaft, wie jemand denken kann, etwas, das vor Ewigkeiten von irgendwelchen Betrunkenen geschrieben wurde, wäre auch nur im Entferntesten glaubhaft. Und ich fälle hier kein moralisches Urteil: Die Leute mussten trinken, weil das Wasser so schlecht war. Dennoch, ich frage mich, wie ihre wüsten Geschichten â brennende Dornbüsche, Brot, das vom Himmel fällt â plausibel erscheinen können, vor allem im Vergleich zu evidenzbasierter Wissenschaft. Kein heute lebender Mensch würde Rasputins Aderlasstechniken den modernen Therapien unserer Zeit vorziehen. Und doch beharren so viele darauf, diese Geschichten zu glauben, und haben dann auch noch die Dreistigkeit, von anderen zu verlangen, dass sie ebenfalls daran glauben.«
»Da haben Sie recht, Evans«, schrieb Wakely zurück. »Aber Menschen haben nun mal das Bedürfnis, an etwas zu glauben, das gröÃer ist als sie selbst.«
»Warum?«, wollte Calvin wissen. »Was ist falsch daran, an uns selbst zu glauben? Ãberhaupt, wenn wir schon Geschichten brauchen, warum greifen wir dann nicht auf Fabeln oder Märchen zurück? Die sind doch als Instrument für die Vermittlung von Moral genauso gut geeignet. Oder vielleicht sogar besser geeignet? Weil niemand vortäuschen muss, an die Wahrheit von Fabeln und Märchen zu glauben.«
Obwohl er es nicht zugab, ertappte Wakely sich dabei, dass er Calvin zustimmte. Niemand musste Schneewittchen anbeten oder Rumpelstilzchens Zorn fürchten, um die Botschaft zu verstehen. Die Geschichten waren kurz, einprägsam und deckten alles Grundlegende über Liebe, Stolz, Torheit und Vergebung ab. Ihre Regeln waren mundgerecht: Sei nicht so ein Arsch. Quäle weder Mensch noch Tier. Teile das, was du hast, mit anderen weniger vom Glück Begünstigten. Mit anderen Worten: Sei nett. Er beschloss, das Thema zu wechseln.
»Okay, Evans, ich akzeptiere ja, dass Seelsorge mir nicht wirklich im Blut liegen kann«, schrieb er in Bezug auf einen früheren Brief, »zumindest nicht, wenn man es so wörtlich versteht wie Sie, aber wir Wakelys werden Pfarrer, so wie die Söhne von Schustern Schuhmacher werden.
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