Ein Wald von Jahren. Vier Jahreszeiten – eine Liebe im Herbst by Rudolf Marko

Ein Wald von Jahren. Vier Jahreszeiten – eine Liebe im Herbst by Rudolf Marko

Autor:Rudolf Marko [Marko, Rudolf]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105612651
Herausgeber: FISCHER Digital
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


9

Axel stellte sein Glas nieder, brannte einen Zigarillo an und sog den Rauch ein. Sein linkes Augenlid zuckte.

Ja, sagte er. Es war ein sonniger Tag, warm in der Sonne, kühl im Schatten, denn es blies ein kräftiger Westwind. Am Morgen hatte Wolf angerufen, seine Maschine sei soeben in München gelandet, und gegen Mittag war er da. Als wir uns begrüßten, gab es einen kurzen peinlichen Augenblick. Helga umarmte Wolf, wie sie das immer tat, wenn er zu Besuch kam, hielt ihn dann auf Armeslänge von sich, sah sich nach mir um, wandte sich wieder Wolf zu und strahlte ihn an. Wolf merkte, dass sie ihn mit mir verglich, sein Aussehen dem meinen vorzog, und dass mir das nicht entgangen war.

Na, Helgalein?, sagte er. Was guckst du? Zählst du die Jahresringe auf meinem verwitterten Antlitz? Spar dir die Mühe. Es sind genau neunundfünfzig.

Das brachte Helga aus dem Konzept. Sie lachte verwirrt; der peinliche Augenblick war vorüber, und wir gingen hinein. Nach dem Mittagessen saßen wir noch eine Weile beisammen, tranken Kaffee, rauchten und erzählten. Kurz nach eins begaben wir uns in den Garten, Helga und ich. Wolf entschuldigte sich; er werde uns vielleicht später helfen kommen, müsse jedoch erst einige Papiere durcharbeiten, Geschäftskram, den er während des Flugs nicht habe erledigen können. Er setzte sich auf die Terrasse an den Gartentisch.

Helga und ich rechten Laub zusammen, trugen es auf den Komposthaufen, gruben dann die Pflanzlöcher für den Bergahorn und die beiden Apfelbäume, die Helga gekauft hatte, setzten sie und schaufelten die Löcher zu, wobei wir zwischendurch immer wieder kräftig wässerten. Die Arbeit nahm den halben Nachmittag in Anspruch. Ich hatte gerade die Pfähle eingeschlagen und die Bäume angebunden und warf einen Blick auf die Uhr, ob uns vor dem Abendessen noch Zeit blieb, die Rosen winterfest zu machen, da sah ich Tina. Sie kam aus dem Nachbargarten, und sie trug ein weißes Kleid, recht ähnlich geschnitten wie deins, Anna! Hübsch sah das aus zu ihrer bräunlichen Haut, ihrem dunklen Haar.

Hallo!, rief sie. Tag, Frau Hollbach! Tag, Herr Doktor! Ich hab eben bei Hasslbergers ein paar Noten abgegeben, für das Allerheiligenkonzert. Ist die Anna schon daheim?

Nein, entgegnete Helga. Anna hat heute erst um halb sieben frei. Aber wenn du mit Wolf vorlieb nehmen möchtest?

Wolf? Wo?

Helga deutete zur Terrasse hinauf Tina winkte, doch Wolf saß in seine Papiere vertieft und bemerkte sie nicht. Tina lachte.

Ich, Wolfgang H., bin aus den schwarzen Wäldern!, zitierte sie. Na, ich geh ihn mal begrüßen, okay?

Tu das, sagte Helga. Würde es dir was ausmachen, ihm einen Kaffee zu kochen, Tina? Frag ihn aber erst, ob er welchen möchte. Danke, lieb von dir!

Mach ich doch gern, Frau Hollbach. Bis später!

Sie lächelte, wandte sich um und schlenderte den Hang hinauf, lässig, langsam, in einer geraden Linie. Ich sah ihr nach; ich weiß nicht, weshalb. Als sie zu den zwei Fliederbüschen kam, die schon damals einander berührten – heute sind sie ja ganz miteinander verwuchert –, wartete ich gespannt, ob sie links herum oder rechts herum gehen würde. Sie tat keins von beidem.



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