Ein Pimpf erinnert sich. Deutsche Schicksalsjahre ab 1933 - Erinnerungen eines Zeitzeugen by Günther F. Klümper

Ein Pimpf erinnert sich. Deutsche Schicksalsjahre ab 1933 - Erinnerungen eines Zeitzeugen by Günther F. Klümper

Autor:Günther F. Klümper [Klümper, Günther F.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: 2. Weltkrieg, Deutschland, Geschichte
ISBN: 9783937978406
Google: tSrEPwAACAAJ
Amazon: 3937978402
Herausgeber: Aquensis Verlag
veröffentlicht: 2009-04-01T22:00:00+00:00


Der Führer zu Besuch

In der Gau-Hauptstadt

Immer wenn eine der braunen Führungsgestalten in unserer Nähe zu irgendeiner Kundgebung auftauchte, wurden auch wir Pimpfe mobilisiert, um Fähnchen zu schwingen, „Heil“ zu rufen oder einfach Lärm zu machen.

Als unser über alles geliebter Führer dabei war, Deutschland kennen zu lernen – er war ja Ausländer – fuhr er bei schönem Wetter in einem offenen, großen Cabriolet durch die Lande und durch die Städte, um sich als Retter aus der Not feiern zu lassen, um die Stimmung im Land für sich zu mobilisieren.

Eines Tages gab er auch unserer Gauhauptstadt die Ehre. Mit Bussen wurden wir, vaterländische Lieder auf den Lippen, an Ort und Stelle gefahren. Auf den Straßen herrschte ein beängstigendes Gedränge, verursacht von Fußgängern, Radfahrern und Autobussen; das Großereignis warf seine verkehrstechnischen Schatten voraus. Bei jeder Stockung fluchte unser Chauffeur und bereicherte unser Vokabular mit gängigen Kraftausdrücken wie „Scheißkarren“, „Straßenräuber“, „Lahme Enten“ und vielen anderen.

Mit Kartenspiel und Singen vertrieben wir uns die Zeit. Da konnte keine Langeweile aufkommen. Es war ein warmer, sonniger Tag im Wonnemonat Mai. Aber nix mit „Der Mai ist gekommen...“ aus den Zeiten der Bündischen Jugend, die es zwar immer noch gab, die sich aber heute mit der Rolle des Zuschauers zufrieden geben musste, wenn sie sich denn traute. Aus einem meiner Lieblingsbücher „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex kannte ich „Wildgänse rauschen durch die Nacht...“ und andere Weisen.

Es war eine sangesfrohe Zeit. Die Zahl der erhebenden, vaterländischen Lieder war enorm. In der Gemeinschaft Gleichgesinnter fühlten wir uns stark und sangen lauthals: „Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg, wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war’s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt“... Der Schluss war geradezu berauschend: „Und heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt.“

Wieso hätten wir Pimpfe den prophetischen Unterton heraushören sollen, wenn nicht einmal die meisten Erwachsenen dazu in der Lage waren? Wer schmeißt nicht gerne mal einen Teller an die Wand, dass ihm die Scherben nur so um die Ohren fliegen?

Dann hatten wir unser Ziel erreicht. Unser Führer war mit seinem Gefolge, Rudolf Hess, Hermann Göring, einem Herrn Bormann, seinem Stellvertreter wie es hieß, und anderen, uns nicht dem Namen nach bekannten Persönlichkeiten, im besten Hotel des Platzes abgestiegen.

Hitler zeigte sich erst nach langem, stürmischen Rufen kurz auf dem Balkon, um die Masse mit dem rechten Arm, den er leicht nach hinten abwinkelte, während wir den unseren ihm entgegenstrecken mussten, zu grüßen. Seine offene Handfläche zeigte dabei lässig gen Himmel, wo seine Vorsehung wohnte. Endlich wurden wir für unser ausdauerndes Schreien belohnt.

Wir waren so spät gekommen, dass wir mit der letzten Reihe hatten vorlieb nehmen müssen. Eine Mauer erwachsener Körper versperrte mir die Sicht auf den Balkon des Hotels. Als wie auf ein geheimes Kommando die rechten Arme der Masse zum deutschen Gruß unter ohrenbetäubendem „Heil, Heil“ hochflogen, musste wohl eine Schicksalsstunde geschlagen haben. Um überhaupt etwas zu sehen, flitzte ich wie ein Wiesel hin und her, um den besten Durchblick zu erwischen.



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