Ein möglicher Ort by Stephan Kaluza

Ein möglicher Ort by Stephan Kaluza

Autor:Stephan Kaluza [Kaluza, Stephan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2015-08-30T16:00:00+00:00


8

Wenn ich von der Zeit spreche,

dann deshalb, weil sie noch nicht ist.

Wenn ich von einem Ort spreche, dann deshalb,

weil er verschwunden ist.

Wenn ich von einem Menschen spreche,

dann deshalb, weil er schon tot ist.

Wenn ich von der Zeit spreche, dann deshalb,

weil sie schon nicht mehr ist.

Jean Baudrillard

Yann blickte kurz auf, Maria bot ihm eine weitere Tasse Kaffee an, hielt die Kanne schon bereit. Mit einem »Com gosto« lächelte er sie an, gerne.

Er hatte tief geschlafen, etwas zu lang, wie es schien, die anderen hatten sich schon auf den Weg gemacht und ihn aus Rücksicht wohl nicht wecken wollen, was ihm nicht ungelegen kam, da er nun Zeit hatte, seine Accounts durchzugehen. Die Internetverbindung war schlecht, das Notebook zeigte Unterbrechungen an, aber irgendwie hatte Pearl es geschafft, ihm weitere Bilder zu senden und sich darüber zu beklagen, dass er nie antwortete.

Während des Lesens hatte er das Telefon in Reichweite vor sich auf den Tisch gelegt, das Display blieb leer, was ihn einerseits erleichterte, andererseits beunruhigte, aber der erwartete Anruf würde ganz sicher kommen.

Regenwald: Vor Jahrmillionen, ehe die Große Eiszeit kam, herrschte ewiger Sommer auf der Erde, und ihre Kontinente waren bis zu den Polen hinauf von einem Mantel immergrüner Wälder bedeckt. Am Äquator gibt es diese Wälder heute noch; hier ist ihre erste und letzte Heimat, und hier zeigen sie die ganze Fülle und alle Pracht, wie sie Äonen hindurch über die ganze Erde verbreitet war. Der Regenwald ist ein mächtiger Baldachin von Baumwipfeln, ein dichtes grünes Gewebe, dessen Schichten die Sonnenstrahlen filtern, sodass unten am Boden ein trübes Zwielicht herrscht. Hier und da fallen durch das Dunkel breite Streifen von Sonnenlicht, die irgendwo einen Weg durch das dichte Laubdach gefunden haben und nun goldene Kringel auf den Urwaldboden zaubern.

Er markierte die Stelle und gab einen weiteren Suchbegriff ein:

Eine unbewohnte Insel ist eine selbst bei Tidehochwasser über den Meeresspiegel hinausragende, völlig von Wasser umschlossene Landmasse, die entweder noch nie von Menschen bewohnt war oder seit längerer Zeit nicht mehr besiedelt ist. Auf der Erde ist die Überzahl der in einem Meer oder in einem Binnengewässer gelegenen Inseln unbewohnt. Solch unbewohnte Inseln spielen seit jeher in Abenteuergeschichten der Weltliteratur (beispielsweise Robinson Crusoe oder Die Schatzinsel), aber auch in Kinofilmen eine große Rolle; die unberührte Natur bietet Raum für Fiktionen aller Art, etwa, dass auf solchen Inseln Urzeitechsen bis heute überlebt hätten, was auf einige Eilande des unbewohnten Galapagos-Archipels durchaus zutrifft. Auch in Cartoons und Witzen wird nicht selten das Motiv der unbewohnten Insel verwendet, zumeist in der Form, dass ein Individuum in seiner aussichtslosen Lage unangepasste Handlungen oder Äußerungen vornimmt, welche auf Gewohnheiten in seinem früheren Leben in der Zivilisation zurückzuführen sind.

Ein grob und schlecht geschriebener Artikel, der den Kern nicht erfasste, dachte er. Er sah in einer unbewohnten Insel in erster Linie eine Metapher für den Menschen. Eine unbewohnte Insel stand vor allem für die Erkenntnis, dass die Grenzen der Wahrnehmung gegebene waren, so wie eine Landmasse definiert und endlich war, verhielt es sich auch mit der Erkenntnis. Darin lag für ihn die Verwandtschaft von Insel und Mensch.



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