Ein endloser Albtraum (German Edition) by Marsden John
Autor:Marsden, John [Marsden, John]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783646920260
Herausgeber: Carlsen Verlag
veröffentlicht: 2010-05-14T22:00:00+00:00
Zweites Kapitel
Obwohl die Invasion erst ein paar Monate zurücklag, sah die Landschaft bereits anders aus. Da waren die offensichtlichen Veränderungen: Ernten, die nicht eingebracht worden waren, verlassene Häuser, noch mehr totes Vieh in den Koppeln. Das Obst verfaulte auf den Bäumen und auf dem Boden. Auch das Farmhaus der Blackmores war zerstört worden, ob infolge eines zufälligen Brandes oder durch die Granaten der Soldaten, lieà sich nicht sagen. Ein Baum war in den Scherschuppen der Wilsons gestürzt und lag immer noch wie in einer Kinderkrippe aus verbogenem Eisenblech und geborstenen Dachbalken. Die Kaninchen schienen sich vermehrt zu haben und wir sahen drei Füchse, was bei Tageslicht ungewöhnlich ist.
Es gab aber noch andere Veränderungen, die nicht ganz so offensichtlich waren. Ein Loch im Zaun, eine beschädigte Windmühle. Ein Efeuspross, der sich durch ein Fenster einen Weg ins Haus bahnte.
Noch etwas fiel mir auf: eine bestimmte Atmosphäre, die Art und Weise, wie sich das Land anfühlte. Es wirkte wilder, fremder, viel älter. Ich war in diesem Land immer noch daheim, aber weniger wichtig. Ich spürte deutlich, dass ich nicht viel bedeutender war als ein Kaninchen oder ein Fuchs. Der Busch eroberte sich den Boden zurück und irgendwann würde auch ich nicht viel mehr sein als ein Buschwesen, das klein und unbedeutend durch das Unterholz hastete und das Land kaum störte. Komisch, aber im Grunde machte mir das gar nichts aus. Es schien irgendwie natürlicher so.
Wir lieÃen uns Zeit, machten einen weiten Bogen um die StraÃe, überquerten die Koppeln im Schatten der Hügel und suchten unter den Bäumen Schutz. Keiner sprach, aber unsere Laune war eindeutig besser geworden, als durchströmte uns eine ganz neue Energie. Bis zu den Trümmern von Corries Haus gingen wir ohne Unterbrechung, erst dort legten wir eine Pause ein und plünderten den Obstgarten für ein frühes Abendessen. Viele der Ãpfel waren von den Opossums und Papageien angenagt worden, aber es waren genug unversehrte übrig, um uns die Bäuche vollzuschlagen. Und das taten wir auch. Den Preis bezahlten wir eine Stunde später, als wir einer nach dem anderen hinter den Bäumen verschwanden; die Ãpfel gingen durch unseren Verdauungstrakt hindurch wie eine Flutwelle durch Venedig.
Das war es aber allemal wert.
Wir blieben bis lange nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Grundstück der Mackenzies. Wir fühlten uns relativ sicher, weil das Haus zerstört war und somit für die Soldaten keinen Reiz mehr hatte. Ich hatte gedacht, der Anblick der Verwüstung würde mich deprimieren, in Wirklichkeit war ich aber wegen unseres Vorhabens viel zu nervös, um traurig zu sein. Ehrlich gestanden (da haben wir es wieder) hatte ich längst aufgehört mir die heldenhafte Befreiung Corries und Kevins auszumalen; in diesem Moment beschäftigte mich vor allem der Gedanke an mein eigenes Ãberleben und die grausige Vorstellung, dass mein Körper in Kürze genauso aussehen könnte wie Corries Haus, in seine Bestandteile zerrissen und über die Landschaft verstreut.
Der schrecklichste Gedanke â den ich zu verdrängen versuchte, wann immer er sein hässliches Gesicht zeigte â war jedoch die Möglichkeit, dass Corrie nicht mehr am Leben war. Damit würde ich nicht fertig werden.
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