Die Wattwanderung (German Edition) by Lange Hartmut

Die Wattwanderung (German Edition) by Lange Hartmut

Autor:Lange, Hartmut [Lange, Hartmut]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257601077
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2015-01-20T16:00:00+00:00


11

Nach einigen Wochen hatte Völlenklee seine Verletzung überwunden. Hohenleitner gab ihm ein Präparat, dessen Wirkung er nicht näher bezeichnete, und es schien, als wäre der Buchhändler jetzt ruhiger, gelassener, und als hätte der Arzt allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Man hatte ihm ein Bett zugewiesen, das kein Provisorium mehr war, und er unternahm wieder Spaziergänge, mied aber die Gegend zum Spandauer Damm hin.

Nur einmal wollte er prüfen, ob Hohenleitner mit seiner Bemerkung, es gäbe hinter der Kohlenhandlung kein freies Feld, recht gehabt hatte. Es war regnerisch und kühl, und Völlenklee hatte seine Jacke vergessen. Er zögerte, ging schließlich doch den Fürstenbrunner Weg entlang, und irgendwann versuchte er, jene Richtung zu bestimmen, in der er die Kohlenhandlung vermutete. Er sah eine Ansammlung von dichtem, üppigem Grün, als stünden dort auf engstem Raum zusammengedrängt Sträucher und Obstbäume, aber alles war entfernt und vage.

›Es könnte auch ein freies Feld sein‹, dachte er, ›auf dem die Birken wuchern. Ja, die Birken‹, dachte er, und ihm fiel ein, daß er sich, was das Grün anging, getäuscht haben mußte. Eine Weile stand er da, aber worin nun die Täuschung bestand, dies zu klären schien ihm nicht der Mühe wert, auch fröstelte er zu sehr, und zuletzt schloß er die Augen, weil ihm der Wind ins Gesicht peitschte.

Die Nachmittage verbrachte er auf seinem Zimmer, und es konnte Vorkommen, daß er nicht nur mit Hohenleitner, sondern auch mit dem Pfleger zusammensaß, als müsse man sich endlich miteinander bekannt machen. Der große, vierschrötig wirkende Mann ließ es sich gefallen, daß der Buchhändler ihm Anekdoten aus seiner Schulzeit erzählte und wie er mit Hohenleitner, dem Chef dieser Klinik, Freundschaft geschlossen hätte, die ihm, wie er versicherte, unentbehrlich geworden sei. Sicher, vieles von dem, was er behauptete, war unwahrscheinlich und belanglos, und eine gewisse Beflissenheit, die Absicht, dem Pfleger zu imponieren, war unübersehbar. Vielleicht, dies war ihm selbst unbewußt, hatte Völlenklee nicht mehr den Willen, der herausfordernden Haltung des anderen entgegenzutreten, oder es fehlte ihm an Kraft, und er suchte auf kürzestem Weg eine Übereinkunft, um seine neuerliche Ruhe und Gelassenheit nicht zu gefährden.

Ganz anders benahm er sich, wenn Hohenleitner im Zimmer war. Dann saß er, als wollte er sich jederzeit abwenden, auf der vorderen Kante seines Stuhls und schien auf etwas zu warten. Vielleicht, daß Hohenleitner doch noch imstande wäre, von Dingen zu reden, über die er so hartnäckig und, wie Völlenklee meinte, verständnisvoll schwieg. Ja, das verständnisvolle Schweigen und daß dahinter etwas Unausgesprochenes lauerte! Völlenklee hatte die Zurückhaltung des Arztes immer gelten lassen, und auch jetzt, nach dieser merkwürdigen Nacht, und da er nicht sagen konnte, was mit ihm geschehen war, wünschte er nicht, daß Hohenleitner versuchen könnte, das Ereignis zu deuten. Aber er hätte gern gewußt, was der Arzt darüber dachte und warum er, der Buchhändler, sich neuerdings so ruhig und gelassen fühlte. War es die Wirkung des Medikaments, das er regelmäßig einnahm, oder war es der kurze, jäh von einem Schlag unterbrochene Eindruck, der ihm, und nun die fünfte Woche, wie unauslöschlich im Gedächtnis blieb?

›Es war wie eine schwarze Wand, und als gäbe es dort einen Ausweg.



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