Die Verschwundenen by Popp Wolfgang

Die Verschwundenen by Popp Wolfgang

Autor:Popp, Wolfgang [Popp, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Edition Atelier
veröffentlicht: 2015-01-12T16:00:00+00:00


Wir ließen den Wagen beim Museum stehen und gingen die Straße zu Fuß weiter. Das ganze Ausgrabungsgelände lag an einem leicht abfallenden und nur spärlich bewachsenen Hang. Rechterhand ging es hinunter zur Küste, und auf der linken Seite waren die schroffen Gipfel eines Gebirgszugs zu sehen.

Wie groß ist die Athene eigentlich?, fragte ich Philip.

Nicht viel größer als eine Drossel, meinte er, so an die zwanzig Zentimeter.

Ich hatte nicht angenommen, dass der Vogel so klein war. Das Merkmal, auf das es ankam, das einzige, was die Athene noctua noctua vom herkömmlichen Steinkauz unterschied, nämlich die Zeichnung über den Augen, war damit nicht größer als eine Briefmarke. Wenn ich den Kopf des Vogels deutlich auf ein Foto bekommen wollte, musste ich mich ihm auch mit meinem besten Teleobjektiv bis auf wenige Meter nähern. Sehr scheu durfte die Athene da nicht sein.

Wir kamen zu einem zweiten Parkplatz, von wo der Weg zur Kastalischen Quelle abzweigte. Er führte am Fuß einer Felswand entlang, die sich zu einer engen Schlucht öffnete. Hier im Schatten war es kühler und die Vegetation üppiger, und als wir einen Bach überquerten, entdeckte ich einen Lorbeerbaum. Philip blieb alle paar Schritte stehen und suchte mit seinem Feldstecher die Baumwipfel ab. Ich hatte meine Kamera aus der Tasche geholt und machte mehrere Fotos von irgendwelchen Pflanzen und immer wieder von Philip. Das Klicken des Apparats wurde von der Felswand als Echo zurückgeworfen, so als ob ich mit jedem Bild, das ich machte, auch selbst fotografiert werden würde. Als sei da ein stiller Beobachter, der genau festhielt, wie ich Philip nicht aus den Augen ließ.

Hier ist die Kastalische Quelle, hörte ich Philip ein Stück weiter vorne sagen, und als ich um eine Ecke bog, entdeckte ich ihn neben einer grottenartigen Öffnung in der Felswand, aus der Wasser rann.

Die Luft hier war so kühl, dass mich kurz fröstelte. Philip suchte mit dem Feldstecher wieder die Umgebung ab. Ich las mir in der Zwischenzeit eine Informationstafel durch. Hier in Delphi hatte die berühmteste Wahrsagerin von ganz Griechenland gelebt, stand da. Und an einem bestimmten Tag im Monat konnten die Menschen hierherkommen und dieser heiligen Frau ihre Fragen stellen. Das Orakel zog sich daraufhin in den Apollontempel zurück, wo aus einer Felsspalte Erddämpfe aufstiegen. Die Dämpfe atmete das Orakel ein, fiel daraufhin in Trance, und in diesem Zustand sprach Apollo durch sie zu den Gläubigen. Bevor dieses Ritual stattfinden konnte, musste sich das Orakel hier an den Kastalischen Quellen waschen, denn sie durfte Apollo nur völlig rein begegnen.

Als ich von der Tafel wieder aufsah, kroch Philip auf allen Vieren am Boden herum. Vielleicht suchte er nach den Krallenabdrücken des Vogels oder nach dessen Kot. Ich brach ein etwa zwanzig Zentimeter langes Stück Zweig von einem Strauch ab und steckte es neben der Quelle in die Erde. Dann versuchte ich von der nächstmöglichen Deckung aus den Zweig mit meinem stärksten Teleobjektiv formatfüllend ins Bild zu bekommen. Das gelang mir zwar, das Licht war allerdings nicht gut hier, und in der Dämmerung würde ich ohne Blitz gar nichts ausrichten können.



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